Prof. Dr. med. Achim J. Kaasch
Prof. Dr. med. Achim J. Kaasch (Foto: privat)

In Deutschland sind Ende des letzten Jahres die ersten Impfungen mit dem Impfstoff BNT162b2 der Firma BioNTech/Pfizer angelaufen. Ein zweiter Kandidat der Firma Moderna soll ebenfalls als Impfstoff gegen das Corona-Virus zum Einsatz kommen. Prof. Dr. med. Achim Kaasch ist Professor für Medizinische Mikrobiologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er hat sich intensiv mit den Zulassungsstudien der beiden neuen mRNA-Impfstoffe auseinandergesetzt. Über die Wirksamkeit, Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen hat das Ärzteblatt Sachsen-Anhalt am 23. Dezember 2020 mit dem Professor gesprochen.

Was ist das Neuartige an diesen Impfstoff-Kandidaten?Es handelt sich um mRNA-basierte Impfstoffe. Diese enthalten Teile der Erbinformation des Virus in Form von sogenannter Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA), die den Bauplan für ein Virusprotein bereitstellt. Die mRNA ist in Lipid-Nanopartikeln verpackt und kann so nach der Impfung in die Körperzellen gelangen. Im Anschluss produzieren die Zellen dann dieses ungefährliche Virusprotein. So wird das Immunsystem stimuliert und es reagiert mit einer schützenden Immunantwort. Diese Impfstoffe sind das Ergebnis von mehr als einem Jahrzehnt mühsamer Forschungsarbeit.

Wie schätzen Sie diese neue Form von Impfstoffen ein?
Mit so klaren Ergebnissen habe ich nicht gerechnet. Ich bin neuartigen Verfahren gegenüber grundsätzlich eher skeptisch eingestellt, lasse mich von guten Studien aber überzeugen. Als der Adenovirus-Impfstoff der Oxford University als einer der ersten getestet wurde, waren sich die Experten einig, dass eine Schutzwirkung von über 50 Prozent ein Erfolg sei. Jetzt haben wir eine deutlich höhere Schutzwirkung und die vorgelegten Daten beider RNA-Impfstoffe sind nachvollziehbar und in sich stimmig. Das ist ein großer Erfolg.

Wie genau erfolgt die Impfung?
Um die volle Wirksamkeit zu erlangen sind bei beiden Impfstoffen zwei Impfdosen erforderlich. Bei dem BioNTech-Impfstoff erfolgt die zweite Injektion nach 21 Tagen und bei dem von Moderna nach 28 Tagen in die Muskulatur des Oberarms.

Wie wirksam ist der BioNTech-Impfstoff?
Der Impfstoff wurde in einer Studie mit 43.448 Teilnehmenden im Alter zwischen 12 und 91 Jahren untersucht. Die Anzahl der Teilnehmenden wurde im Vorhinein so festgelegt, dass erwartet werden konnte, eine Wirksamkeit von mindestens 30 Prozent festzustellen. Per Zufall bekam eine Hälfte der Teilnehmenden, die Verum-Gruppe, den Impfstoff und die andere Hälfte, die Placebo-Gruppe, eine Kochsalzlösung.

In die finale Auswertung sind 18.556 Teilnehmende aus der Verum-Gruppe und 18.530 aus der Placebo-Gruppe eingegangen, die keine vorhergehende SARS-CoV-2-Infektion hatten und im Abstand von drei Wochen zwei Impfdosen (Verum oder Placebo) erhalten hatten. Ab sieben Tage nach der zweiten Impfung wurde dann beobachtet, ob eine Infektion mit SARS-CoV-2 auftrat.

Beide Gruppen waren bezüglich Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen gut vergleichbar. 25 Prozent der Teilnehmenden hatten Bluthochdruck und jeweils acht Prozent eine chronische Lungenerkrankung oder Diabetes. Personen mit starker Immunschwäche, Kinder und Schwangere waren von der Studie ausgeschlossen.

Die Wirksamkeit eines Impfstoffs beschreibt das Verhältnis von auftretenden COVID-19-Fällen zwischen der Verum- und der Placebo-Gruppe. Es konnte festgestellt werden, dass sich 162 Personen in der Placebo-Gruppe und nur acht Personen in der Verum-Gruppe mit dem Virus infiziert hatten. Das entspricht einer Wirksamkeit von 95 Prozent (Konfidenzin­tervall: 90,3 % bis 97,6 %). Eine schwere Infektion mit einem Krankenhausaufenthalt trat bei neun Personen in der Placebo-Gruppe und nur einer Person in der Verum-Gruppe auf. Es gab vier Todesfälle in der Placebo Gruppe und zwei in der Verum-Gruppe.

Man kann also festhalten, dass durch die Impfung das Risiko an Covid-19 zu erkranken sehr deutlich gesunken ist – um etwa 95 Prozent. Dabei gab es keine auffälligen Unterschiede zwischen den Altersgruppen oder bei Personen mit und ohne Vorerkrankungen.

Ist der Impfstoff der Firma Moderna genauso wirksam?
Die Analyse der Zulassungsstudie hat eine ähnlich hohe Wirksamkeit, wie bei dem BioNTech-Impfstoff gezeigt. Von den 30.000 Teilnehmenden wurden jeweils etwa 15.000 Personen im Alter von über 18 Jahren mit dem Impfstoff oder einem Placebo geimpft. Eine symptomatische SARS-CoV-2-Infektion im Abstand von mindestens 14 Tagen nach der zweiten Impfung erlitten elf Personen in der Impfstoff-Gruppe und 185 in der Placebo-Gruppe. Das heißt, dass die Effektivität bei dem Moderna-Präparat bei 94,1 Prozent liegt. Das Konfidenzintervall beträgt 89,3 bis 96,8 Prozent. Schwere Infektionen traten bei 30 Personen in der Placebo- und bei keiner Person in der Verum-Gruppe auf. Auch das sind sehr gute Ergebnisse.
 
Die Zulassung der Impfstoffe konnte innerhalb weniger Monate erfolgen. Wie steht es da um die Sicherheit?
Die Kriterien für die Zulassung eines Impfstoffes sind in Deutschland bzw. der EU sehr streng, um eine bestmögliche Qualität, Wirksamkeit und Verträglichkeit zu gewährleisten. Für beide Impfstoff-Kandidaten liegen die entscheidenden Daten vor. Darüber hinaus wird auch nach der Marktzulassung die Impfstoff-Anwendung, vor allem mit Blick auf selten auftretende Nebenwirkungen, weiter eng überwacht und bewertet.

Mit dem Wissen um die Bedeutung eines Impfstoffes wurden in kürzester Zeit große Summen in die Impfstoff-Entwicklung investiert. Dadurch war es möglich, großangelegt zu forschen und die notwendigen klinischen Studien verzahnt durchzuführen. Auch die zuständigen Zulassungsbehörden konnten mit mehr Personaleinsatz Genehmigungsverfahren frühzeitig vorbereiten. Mit diesen massiven Investitionen konnte der ganze Prozess beschleunigt werden, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Nebenwirkungen bei einer Impfung sind normal und im Grunde ein gutes Zeichen, weil der Körper auf den Impfstoff reagiert und Abwehrstoffe bildet. Die bisherigen Daten beruhen auf einer Beobachtung der Teilnehmenden von durchschnittlich zwei Monaten. Aussagen zu Langzeitfolgen sind deshalb bisher noch nicht möglich. Ich erwarte allerdings nicht, dass es einen eklatanten Unterschied zu anderen Impfungen geben wird. Denn es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass es durch die Impfung zu schweren Nebenwirkungen kommt.

Zu den häufigsten leichteren Nebenwirkungen, die aufgetreten sind, zählten Schmerzen, Rötung oder Schwellung an der Einstichstelle oder Beschwerden wie Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Muskel- oder Gelenkschmerzen. In England sind zwei Fälle von schweren allergischen Reaktionen kurz nach der Impfung aufgetreten. Nach allem, was man weiß, handelte es sich in beiden Fällen um Personen, die aufgrund vorheriger schwerer allergischer Reaktionen Notfallmedikamente mitführten. Es wird empfohlen, dass Personen, mit schweren allergischen Reaktionen in der Vorgeschichte oder Allergien gegen Komponenten des Impfstoffs, sich nicht oder nur nach Rücksprache mit ihrem behandelnden Arzt impfen lassen sollten. Wir wissen also, dass der Impfstoff in der Regel gut vertragen wird. Mit vorübergehenden Schmerzen, Rötung und Schwellung sowie etwas erhöhter Temperatur muss man aber rechnen. Ich erwarte, dass das in 10 bis 20 Prozent der Fälle auftreten wird.

Für wen ist die Impfung nicht geeignet?
Neben den allergischen Reaktionen gibt es nur wenige Einschränkungen. Für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ist der Impfstoff nicht zugelassen. In Schwangerschaft und Stillzeit sollte eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen, da bisher keine belastbaren Daten vorliegen. Eine verminderte Wirksamkeit der Impfung kann bei Personen mit Immunsuppression oder in der Zeit nach Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion mit Rekonvaleszenten-Plasma vorkommen. Dies spricht aber nicht prinzipiell gegen eine Impfung; auch nicht nach durchgemachter Infektion.

Verändert dieser RNA-Impfstoff die DNA des Menschen?
Das steht im Widerspruch zu allen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die wir über die Funktionsweise dieser RNA haben. Ich halte das für ausgeschlossen.

Was ist bisher noch ungeklärt?
Wie lange der Impfschutz anhält, ist noch nicht geklärt. Unter Umständen braucht es weitere Auffrischungsimpfungen. In den kommenden Monaten sollten dazu neue Erkenntnisse vorliegen. Wie gut die Impfung vor symptomloser Ansteckung mit SARS-CoV-2 schützt, kann ebenfalls noch nicht genau gesagt werden. Ich rechne zwar damit, dass die Übertragungswahrscheinlichkeit geringer wird, aber die Hygiene- und Abstands-Regeln müssen weiter eingehalten werden. Auch muss genau beobachtet werden, ob Virusmutationen auftreten, die nicht von der Impfung erfasst werden.

Ganz persönlich: Kommt für Sie eine Impfung in Frage?
Ja definitiv!

Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. med. Achim J. Kaasch
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene
Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg