Behandlung im Voraus planen – Chancen und Grenzen eines Beratungskonzepts

Foto: Peggy und Marco Lachmann-Anke auf PixabayAm 13. November 2020 fand der 4. Ethiktag der Universitätsmedizin Magdeburg (UMMD) statt. Die virtuelle Veranstaltung erfolgte erstmals in Kooperation mit dem Klinikum Magdeburg und den Pfeifferschen Stiftungen. Thematisiert wurde die gesundheitliche Vorausplanung als Instrument zur Wahrung der Patientenautonomie.

Die Wahrung der Patientenautonomie zählt zu den wichtigsten medizinethischen Prinzipien – insbesondere im Zustand eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit der bzw. des Erkrankten. Leider sind die zu diesem Zweck entwickelten Vorsorgeinstrumente, wie die herkömmliche Patientenverfügung, in der Praxis nicht immer in der Lage, diesem Anspruch gerecht zu werden. Vage formulierte, auf die konkrete Situation nicht anwendbare oder im Notfall nicht auffindbare Willensbekundungen erschweren es den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, den tatsächlichen Willen ihrer Patientinnen und Patienten einzuschätzen. Auch bei Angehörigen, Betreuern und Bevollmächtigten bestehen häufig Unsicherheiten.

Hier setzt das Konzept „Behandlung im Voraus Planen“, engl. „Advance Care Planning“ (ACP), an. Es sieht vor, Patienten im Rahmen eines professionell begleiteten Gesprächsprozesses bei der Entwicklung und Dokumentation zukünftiger Behandlungswünsche zu unterstützen. Helfen kann hierzu ein Gespräch zwischen den Betroffenen, ihren Vertretern oder Angehörigen sowie den behandelnden Ärzten. Dabei sollen vorausverfügte Willensbekundungen so im regionalen Versorgungssystem implementiert werden, dass sie auch zuverlässig beachtet werden. Hierzu gehört die Verwendung von einheitlichen PV-Formularen und Notfallbögen. Die Informationsweitergabe erfolgt dabei sowohl an das Personal der Pflegeeinrichtungen, der regionalen Krankenhäuser und Rettungsdienste als auch an die behandelnden (Haus-)Ärzte und Angehörigen des Betreuungswesens.

Bei ACP handelt es sich um keine Neuheit: das Konzept wurde in den letzten 30 Jahren ausgehend von den USA, Australien und Kanada entwickelt. In Deutschland gründete sich der DiV-BVP e. V. als wissenschaftliche Fachgesellschaft mit dem Ziel, auch hierzulande das Konzept zu etablieren und eine einheitliche Qualifizierung zu realisieren. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem 2015 verabschiedeten Hospiz- und Palliativgesetz die Finanzierung von ACP durch die gesetzlichen Krankenkassen geschaffen. Allerdings ist die Förderung eines solchen Beratungsangebotes bisher nur „für die letzte Lebensphase“ und auf Bewohner von Alten-/Pflegeheimen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen beschränkt (§ 132g SGB V). Doch bietet ACP auch ein Potential für die frühzeitige Begleitung von chronisch erkrankten Patienten?

Im vergangenen Jahr verabschiedete die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer eine Stellungnahme zu ACP. Diese hatte zum Ziel, eine breite und differenzierte Diskussion innerhalb und außerhalb der Ärzteschaft anzustoßen. Diesem Impuls sind wir im Rahmen des 4. Ethiktages der UMMD gefolgt. Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Tanja Krones von der Universität Zürich. Krones war federführend bei der Stellungnahme der ZEKO zu ACP. Die Referentin warb dafür, das Potential von gesundheitlicher Vorausplanung für eine patientenorientierte Medizin zu nutzen. So könne ACP dazu beitragen, nicht gewünschte Krankenhauseinweisungen zu vermeiden und Angehörige zu entlasten. Insbesondere Patienten mit Erkrankungen, deren Verlauf absehbar sei, sollten ACP für sich in Anspruch nehmen können – und zwar unabhängig vom Stadium ihrer Erkrankung.

Der nachfolgende Referent, Prof. Dr. Dr. Thomas Heinemann von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, konnte das Grundanliegen seiner Vorrednerin teilen. Jedoch gab er in seinem Vortrag zu bedenken, dass bei einer allzu proaktiven Thematisierung von ACP bei den Betroffenen der Eindruck eines Zwangs zur Vorausplanung entstehen könne.

Zudem kritisierte er an dem bereits regional implementierten ACP-Modellprojekt „beizeiten begleiten ®  “, dass der behandelnde Arzt erst am Ende des Gesprächsprozesses einbezogen werde und lediglich die Aufgabe eines Supervisors übernehme. Heinemann empfahl hingegen, ACP regelmäßig und behutsam im Arzt-Patient-Gespräch zu thematisieren. Demgegenüber äußerte Andre Nowak, für manche Kranke könne es durchaus von Vorteil sein, das erste Gespräch über Behandlungswünsche nicht mit dem behandelnden Arzt, sondern mit einer neutralen Person zu führen. Nowak selbst bietet seit einigen Jahren als ausgebildeter ACP-Gesprächsbegleiter eine Beratung für Patienten und ihre Angehörigen am Universitätsklinikum Halle (Saale) an. Herausfordernd finde er an diesem besonderen Setting, die Fortführung des Gesprächsprozesses auch im Anschluss an den Aufenthalt zu gewährleisten. In einem weiteren Vortrag stellte Dr. Matthias Kujawa die Patientenperspektive zu ACP anhand der Ergebnisse seiner Befragungen von Herzinsuffizienz-Erkrankten vor. Zuletzt sprach Dr. Katrin Radebach über ihre Erfahrungen mit gesundheitlicher Vorausplanung mit Psychiatriepatienten am Universitätsklinikum Göttingen. (Sie können die Vortragsfolien einsehen unter www.get.ovgu.de)

Trotz des ungewohnten Formates war der 4. Ethiktag gut besucht. Insbesondere der kollegiale Umgang der Referent*innen untereinander stieß auf viel Beifall des multiprofessionell zusammengesetzten Publikums.

Das Magdeburger Netzwerk Klinische Ethik – eine jüngst gestartete Kooperation der drei Klinischen Ethikkomitees der Stadt Magdeburg – hat sich zum Ziel gesetzt, eine institutions- und sektorenübergreifende Implementierung von ACP in Magdeburg zu fördern. Auch soll das Vorhaben wissenschaftlich begleitet werden. Gerne können Sie sich bei Interesse an einer Mitarbeit an folgende Adresse wenden:

Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. Eva Brinkschulte, Anna Urbach
Klinisches Ethikkomitee (KEK)
c/o Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin
Universitätsmedizin Magdeburg
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Internet: www.get.ovgu.de

Foto: Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay