
Spätestens in Zeiten von COVID-19 erfreut sich die Internet-Video-Übertragung als ein lebendiges Instrument der Online-Kommunikation zunehmender Beliebtheit. Das Medium war auch für die Fortbildungsveranstaltung am 04.11.2020 die Möglichkeit, die Inhalte anschaulich und vor allem live wiederzugeben! Aufgrund der Einschränkungen der Corona-Pandemie konnte die geplante Präsenzveranstaltung nicht stattfinden und fand kurzfristig virtuell mit einem live gesendeten Anteil und einem Video-Teil statt. Es folgten 63 Teilnehmer aus ambulanten und stationären Einrichtungen und Beratungsstellen der Einladung.
Die Fehlbildungserfassung hatte in Magdeburg vor 40 Jahren begonnen. Das Jubiläum wurde mit dieser „virtuellen Premiere“ begangen. Der Dank an alle Einsender für die engagierte Mitarbeit wurde von Frau Dr. med. Anke Rißmann, ärztliche Leiterin des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt, an den Beginn gestellt.
Darauffolgend brachte Herr PD Dr. med. habil. Gregor Seliger (Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum und Poliklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin Halle) dem Auditorium interaktiv an zwei Fallbeispielen die „Gesetzlichen Regelungen und das ethische Dilemma in der Reproduktions- und Pränatalmedizin“ näher. Die Zuhörer wurden per online-TED-Abstimmung zu ihrer Einschätzung zur Praxis der Präimplantationsdiagnostik und zum „Social Freezing“ aufgefordert. Das „Social Freezing“ beschreibt das Einfrieren von Ei- und Samenzellen aus nicht medizinischer Indikation. Der zweite Fall befasste sich mit einer Patientin, die die ICSI-Behandlung im 3. Zyklus durchmachte und eine Übertragung von drei Embryonen forderte. Nach dem Embryonenschutzgesetz habe man die Möglichkeit, entweder ein ausgewähltes Embryo oder bis zu drei Embryonen einzupflanzen. Bei der Einpflanzung eines ausgewählten Embryos werden die restlichen Embryonen für die zukünftigen Versuche oder für Spenden aufbewahrt. Der Referent merkte an, dass in Deutschland aktuell eine Embryonenspende erlaubt sei, jedoch eine Eizellspende nicht, weshalb sich ca. 3.000 Frauen jährlich mit einer Eizellspende im Ausland behandeln lassen.
Frau PD Dr. med. Katarina Dathe aus dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie (Embryotox), Charité-Universitätsmedizin Berlin, folgte mit ihrem Vortrag zu dem Thema „Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft“. Wichtig bei der Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft seien die Phase der Schwangerschaft, die maximale Dosis und die Pharmakogenetik, da der teratogene Effekt der Medikamente von diesen drei Aspekten stark abhängig sei. Man solle zuerst immer die Möglichkeit einer nicht-medikamentösen Behandlung der Schwangeren prüfen. Betont hatte die Referentin, es gebe für fast alle Krankheiten hinreichend untersuchte Medikamente und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung sei notwendig. Speziell ging sie auf die Epilepsie und die Schmerzmittel ein. Weiterhin sollte der Arzt bei der Verschreibung der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAIDs) bedenken, dass die NSAIDs im (2.)-3. Trimenon potenziell fetotoxisch seien und zu dem frühzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli führen können. Für die Schwangeren sei Paracetamol dann das Mittel der Wahl.

(Cover: Fehlbildungsmonitoring)
Anschließend stellte Frau Dr. rer. nat. Sabine Rönicke, Leiterin Arbeitsbereich Neugeborenen-Screening, Universitätsmedizin Magdeburg, mit ihrem Vortrag die drei neuen Zielkrankheiten im Neugeborenen-Screening vor. Das Screening für die schweren kombinierten Immundefekte (SCID) wird seit einem Jahr in Sachsen-Anhalt durchgeführt. Mittels PCR weist man die TREC-DNA nach, die die T-Zell-Reifung im Thymus in Gang setzt. Bei dem fehlenden TREC-Nachweis solle eine Konfirmationsdiagnostik in spezialisierten Zentren für den Verdacht auf SCID durchgeführt werden. Mit dem Screening und der Früherkennung erhöht sich durch die rechtzeitige Behandlung mit einer Knochenmark-Transplantation die Überlebensrate von 60 % auf 90 %. Die Screening-Einführung auf die Sichelzellanämie (SCD) und die spinale Muskelatrophie (SMA) seien für das zweite Quartal 2021 geplant. Das SMA-Screening erfüllt durch die neu zugelassene Gentherapie, die sowohl die Überlebensrate als auch die Lebensqualität der Kinder mit SMA deutlich verbessert, die Voraussetzungen für eine Zielkrankheit im Neugeborenen-Screening.
Am Ende der Live-Fortbildungsveranstaltung machte Frau Dr. med. A. Rißmann die Einsender auf den Jahresbericht 2019 (Fehlbildungsdaten zum Geburtsjahrgang 2019) aufmerksam (einzusehen unter www.angeborene-fehlbildungen.com). Sie ging besonders auf das Update der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin mit Empfehlungen zu SARS-CoV-2/COVID-19 in der Schwangerschaft ein und informierte, dass es derzeitig keinen Anhalt für eine diaplazentare Übertragung der Infektion auf das Ungeborene gebe. Die Datenlage ist aber noch zu gering, um dazu abschließend „Entwarnung“ zu geben. Alle Referenten standen dann für die anschließende Diskussion und Fragen aus dem Auditorium zur Verfügung.

Neben der Live-Veranstaltung wurden weitere vier Vorträge in Form von Video-Aufzeichnungen auf die Web-seite des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt hochgeladen und waren bis zum 12.11.2020 einsehbar. Frau Prof. Joan Morris aus der St. George‘s University of London, als wissenschaftliche Leiterin von EUROCAT, dem europäischen Fehlbildungsregisternetzwerk, und Herr Prof. Paul Romitti, University of Iowa, als Chair des WHO-assoziierten Netzwerk ICBDSR (International Clearinghouse for Birth Defect Surveillance and Research) lieferten ein kurzes Update zu den aktuellen Projekten der jeweiligen Assoziationen. Einen Vortrag zu dem Thema „Genetische Ursache für mentale Retardierung“ hielt Frau Dr. med. Ina Schanze, Fachärztin des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Magdeburg. Aus ihrem Vortrag geht klar hervor, dass die Intelligenzminderung neben den nicht-genetischen Ursachen auch durch eine Vielzahl komplexer multigenetischer „Fehler“ verursacht werden kann. Frau Clara Wegner, Promovendin des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt, berichtete über die Ergebnisse zu Befragung Schwangerer bezüglich der Folsäureeinnahmegewohnheit. Nur 44,7 % der in Magdeburg befragten Schwangeren nahmen bereits perikonzeptionell, wie empfohlen, zusätzlich Folsäure oder Folat zu sich. Dabei waren die ungeplante Schwangerschaft, ein junges Alter, niedriger Bildungsgrad und Multigravida ein Risikofaktor für die fehlende Folsäure-/Folat-Substitution.
Text: Lucita Tandaki
Korrespondenzanschrift:
Dr. med. A. Rißmann
Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt
Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität
Leipziger Str. 44, Haus 39
39120 Magdeburg
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