Prof. Dr. Jan Schildmann (rechts) und Andre Nowak (links) eröffnen den 4. Ethiktag am UKH
Prof. Dr. Jan Schildmann (rechts) und Andre Nowak (links) eröffnen den 4. Ethiktag am UKH

Dieser Frage widmeten sich am 22.09.2022 etwa 100 Teilnehmende des 4. Ethiktags am Universitätsklinikum Halle (Saale) (UKH). Anlass hierfür boten die am 01.01.2023 anstehenden Änderungen im Betreuungsrecht, insbesondere die damit verbundene Möglichkeit der Ehegattennotvertretung sowie die ethischen Herausforderungen, die bei Entscheidungen durch bevollmächtigte Angehörige oder rechtliche Betreuerinnen und Betreuer regelmäßig auftreten (können). Organisiert wurde die hybride Veranstaltung durch das Klinische Ethikkomitee des UKH (Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Michael Bucher) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Direktor Prof. Dr. Jan Schildmann).

Großes Interesse an Vernetzung und Austausch klinischer Ethikkomitees

Am Vormittag diskutierten zunächst mehr als 70 Vertreterinnen und Vertreter Klinischer Ethikkomitees in Deutschland über Herausforderungen der Entscheidungen mit rechtlichen Betreuerinnen und Betreuern. Richter am Amtsgericht Mario Gottfried (Betreuungsrichter Amtsgericht Halle) und der Berufsbetreuer Eik Schieferdecker (Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Betreuungsvereine Sachsen-Anhalt e. V.) gaben einen Einblick in ihren Arbeitsalltag und die rechtlichen Vorgaben, an welche sie bei ihrer Tätigkeit gebunden sind. Angesichts der im Praxisalltag unterschiedlichen Perspektiven stand die Schaffung eines geteilten Verständnisses der verschiedenen Arbeitswelten und die Identifizierung der Herausforderungen im Mittelpunkt von Vorträgen und Diskussion. Dabei wurde auch deutlich, dass für die Beratung von Bürgerinnen und Bürgern, Maßnahmen der Qualifizierung sowie digitale Unterstützungsangebote von Bedeutung sind. Die Bedeutung einer qualifizierten Beratung zur gesundheitlichen Vorausplanung und die damit verbundenen Herausforderungen im Krankenhaus veranschaulichte in einem dritten Beitrag Andre Nowak, Geschäftsführer des Klinischen Ethikkomitees am UKH.

Ethikfallberatung im Krankenhaus

Die Vorstellung der Ethikfallberatung und die Diskussion von Fällen aus der Beratungspraxis hat bereits Tradition bei den Ethiktagen am UKH und wurde auch in diesem Jahr mit großem Interesse aufgenommen. Vier Vertreterinnen und Vertreter aus drei Krankenhäusern in Deutschland stellten ihr Beratungsangebot und einen anonymisierten Beratungsfall aus der eigenen Praxis vor. Entsprechend des thematischen Fokus des Ethiktags berichteten Tanja Kirchner (Evangelisches Klinikum Bethel), Dr. Katrin Sapia (Städtisches Klinikum Dresden) sowie Dr. Theresa Deffner und Dr. Martin Brauer (Universitätsklinikum Jena) von herausfordernden Fällen, in denen Entscheidungen durch rechtliche Stellvertreterinnen und Stellvertreter eine besondere Rolle ein-nahmen. Sind Entscheidungen durch die Partnerinnen und Partner immer auch im Sinne der Patientinnen und Patienten? Können Eltern Therapieentscheidungen für ihr erwachsenes Kind zugemutet werden? Diese und weitere Fragen wurden von den Referierenden und den Teilnehmenden aus unterschiedlichsten Fächern praxisnah und mit Gewinn für zukünftige Fallberatungen erörtert.

Neuerungen im Betreuungsrecht ab 01.01.2023

Prof. Dr. Tanja Henking referiert am 4. Ethiktag des UKH zu Änderungen im Betreuungsrecht
Prof. Dr. Tanja Henking referiert am 4. Ethiktag des UKH zu Änderungen im Betreuungsrecht

Im Hauptvortrag des Tages gab die Juristin Prof. Dr. Tanja Henking (Hochschule Würzburg-Schweinfurt) einen Überblick über die am 01.01.2023 bevorstehenden Änderungen im Betreuungsrecht und einen Ausblick auf mögliche Implikationen für die klinische Praxis. Neben der neuen Verortung des Betreuungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch stand der Vortrag vor allem im Fokus des neu eingeführten Ehegattennotvertretungsrechts, welches Ehepartnerinnen und -partnern unter bestimmten, sehr engen, Voraussetzungen die Möglichkeit gibt, im Bedarfsfall befristet füreinander, im Bereich der Gesundheitssorge, zu entscheiden. Was auf den ersten Blick als Entlastung für Behandlungsteams und Ehepaare wirken könne, halte auf den zweiten Blick allerdings diverse rechtliche und ethische Herausforderungen bereit, so Henking. So ist es an den Behandelnden, eine Vielzahl von rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und zu dokumentieren (siehe unten: Ehegattennotvertretung ab 2023).

Die vermeintliche Entlastung in diesen Fällen, z. B. durch einen möglichen Verzicht auf ein gerichtliches Verfahren zur Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers, wird dabei wohl durch neue Standardverfahren und Formulare in der Klinik aufgewogen werden. Henking wies dabei zudem auf eine Reihe ethischer Herausforderungen hin. So bedeute z. B. die Tatsache, dass man füreinander sprechen dürfe, keinesfalls automatisch, dass man auch wisse, was die Partnerin oder der Partner auch tatsächlich wolle. Im Anschluss an ihren Vortrag teilten Frau Katrin Kusch (Strahlentherapie am UKH) und Frau Dr. Susann Suchland (Psychiatrie UKH) ihre Erfahrungen mit stellvertretenden Entscheidungen im eigenen Fachbereich. Dabei wurde immer wieder die Ambivalenz in Bezug auf nahe Angehörige als rechtliche Stellvertreterinnen und Stellvertreter deutlich. Auf der einen Seite können diese als unschätzbare Ressource gelten, auf der anderen Seite besteht durch emotionale Bindungen auch immer wieder die Gefahr, nicht den Willen der Patientinnen und Patienten durchsetzen zu können, wenn dieser z. B. den eigenen Vorstellungen vom menschenwürdigen Leben und Sterben entgegensteht.

5. Ethiktag 2023: Bestandteil der nationalen Medizinethik-Tagung in Halle

2023 wird der 5. Ethiktag des UKH im Rahmen der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin in Halle stattfinden. Vom 28. bis 30. September werden hier Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Praxis über das Thema „Ethische Kompetenzen im Gesundheitswesen“ sprechen. Ethikberatung und der Umgang mit ethischen Herausforderungen in der Praxis werden dabei zentrale Handlungsfelder bilden. Weitere Informationen finden sich bereits unter www.aem2023.de.



Ehegattennotvertretung ab 2023

Was ist die Ehegattennotvertretung?
Ab 01.01.2023 besteht für Ehegatten in Notfallsituationen ein Vertretungsrecht im Bereich der Gesundheitssorge (§ 1358 BGB n.F.).

Kompetenzen des vertretenden Ehegatten

  • Einwilligung in oder Untersagung von Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen
  • Abschluss von Behandlungs-, Krankenhausverträgen sowie Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und Pflege sowie deren Durchsetzung
  • Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen im stationären Bereich, sofern die Dauer im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet
  • Durchsetzung von Ansprüchen aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten (z. B. Unfallgegner)
  • Gesetzliche Entbindung der Ärztinnen und Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber dem vertretenden Ehegatten in diesen Angelegenheiten; Einsichtsrecht in Krankenunterlagen und Recht zur Bewilligung der Weitergabe an Dritte


Voraussetzungen

  • Gültige Ehe oder Eingetragene Lebenspartnerschaft (nach LPartG)
  • Vertretener Ehegatte kann seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit rechtlich nicht besorgen
  • Nichtvorliegen von Ausschlussgründen


Ausschlussgründe

  • Getrenntleben der Ehegatten
  • Vertretener Ehegatte lehnt die Vertretung durch den anderen Ehegatten ab
  • Vertretener Ehegatte hat eine (wirksame) Vorsorgevollmacht für die Angelegenheiten
  • Rechtlicher Betreuer ist für die entsprechenden Aufgabenkreise bestellt
  • Die Voraussetzungen liegen nicht mehr vor
  • Die Voraussetzungen liegen seit mehr als sechs Monaten vor


Formale Anforderungen an die Ärztinnen und Ärzte

  • Schriftliche Bestätigung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Notvertretung und des Zeitpunktes (wichtig für die 6-Monats-Frist!)
  • Schriftliche Versicherung des vertretenden Ehegatten einholen über
    - das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen
    - Tatsache, dass das Vertretungsrecht bisher nicht ausgeübt wurde (wichtig für die 6-Monats-Frist!)


Gut zu wissen

§ 1358 Abs. 6 BGB n.F. verweist umfangreich auf weitere Vorschriften des Betreuungsrechts. So gelten für den vertretenden Ehegatten insbesondere die Vorschriften zur Patientenverfügung, zur Feststellung des Patientenwillens oder zur Genehmigungspflicht durch das Betreuungsgericht bei bestimmten ärztlichen Maßnahmen entsprechend.

Autoren:
Andre Nowak1 & Kim Philip Linoh2
1 Klinisches Ethikkomitee am UKH & Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
2 Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht, Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Kontakt:
Andre Nowak, M.mel.
Geschäftsführer Klinisches Ethikkomitee
Universitätsklinikum Halle (Saale)
Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften
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