Aus der Fallsammlung der Norddeutschen Schlichtungsstelle
Kasuistik
Bei einem 77-jährigen Patienten bestanden heftige Schmerzen im Bereich des Os pisiforme (Erbsenbein) nach längerer PC-Arbeit. Er suchte den in Anspruch genommenen Facharzt für Orthopädie auf. Therapeutisch kamen ein Softlaser sowie eine Kryotherapie zur Anwendung. Es wurde ein Softtape angelegt. Für den nächsten Praxisbesuch war eine weitere Untersuchung der Halswirbelsäule vorgesehen. Eine Woche später bestanden bei der Kontrolle weiterhin starke Schmerzen. Es wurde eine Injektion mit Triam 20 und Procain injiziert. In den Vermerken der Dokumentation ist eine Triggerpunktinfiltration enthalten sowie Insertionstendinose Os pisiforme rechts.
3 Tage später suchte der Patient die Praxis mit einem stark geschwollenen rechten Handgelenk nach der Injektion auf. Solche starken Schmerzen habe der Patient noch nie gehabt. Eine Schwellung der gesamten Hand wurde festgestellt. Eine Blutentnahme zur Bestimmung der Entzündungswerte zeigte eine BSG von 26/58 im Blutbild. Therapeutisch wurde Xarelto verordnet sowie ein Zinkleimverband der rechten Hand angelegt. Als Verdachtsdiagnose wurde Erysipel notiert und eine umgehende Einweisung ins Krankenhaus veranlasst. Im Krankenhaus erfolgten unter der Diagnose eines schweren Handgelenkempyems mehrere Operationen. Schlussendlich erfolgte eine Entfernung sämtlicher Strecksehnen vom 2. bis 8. Strecksehnenfach und des Ellenkopfes.
Der Patient vermutet eine unzureichende Desinfektion der Injektionsstelle. Der in Anspruch genommene Arzt trägt vor, dass aufgrund von verstärkten Schmerzen am Handgelenk vom Patienten für den dortigen Bereich um eine Spritze gebeten worden sei. Möglicherweise sei der Nervus ulnaris tangiert worden. Es sei eine Neujustierung der Spritze erfolgt und der Sehnenspiegel über den Os pisiforme infiltriert worden. Es seien sehr dünne Kanülen zur Anwendung gekommen.
Bewertung durch die Schlichtungsstelle
Die Schlichtungsstelle kam zu dem Schluss, dass keine Indikation zur Injektion bestand. Unter Kenntnisnahme des Verlaufes handelte es sich um einen Schmerz, der nach längerer PC-Arbeit bzw. Schreibarbeit aufgetreten war. Aus der Dokumentation ergibt sich aus medizinischer Sicht der Verdacht, dass eine Überlastung stattgefunden hat. Als erstes wäre hier eine Unterbindung der Noxe und Analyse der Handhaltung bei z. B. Schreiben oder Bedienung des PC oder eben der länger durchgeführten Tätigkeit zu fordern gewesen. Entsprechende Hinweise, dieses zunächst zu unterlassen bzw. Hinweise zur Kompensation bzw. besserem ergonomischen Verhalten wären angezeigt gewesen. Weiterhin sind z. B. lokale Salbenanwendungen, lokale Elektrotherapie und zeitweise Ruhigstellung, z. B. in einer Schiene oder mit einem Verband geeignete Mittel, diese – nach Lage der Akten – erst kurz bestehende Schmerzsymptomatik zu behandeln.
Auch eine medikamentöse orale Behandlung mit Analgetika wäre geeignet gewesen, kurz durchgeführt und auch bei älteren Patienten möglich, um Schmerzen zu lindern. Somit ergibt sich für eine Injektionsbehandlung als invasive Maßnahme mit allgemein bekannten Risiken, wie Infektion (hier eingetreten), Gefäßnervenschaden (ebenfalls hier eingetreten) und auch allergischen Reaktionen eine besondere Anforderung an die Indikationsstellung. Die Indikation zu der hier getroffenen Injektionsmaßnahme an der rechten Hand ist in den Unterlagen nicht schlüssig dargestellt. Auch ist in der Karteikarte eine HWS-Symptomatik aus der klinischen Untersuchung vermutet worden, welcher dann nicht weiter nachgegangen wurde. Eine Triggerung peripherer Beschwerden in den Armen könnte durch eine Fehlfunktion im Bereich der Halswirbelsäule begünstigt sein. Zusammenfassend war eine Injektionsbehandlung im Bereich der rechten Handwurzel nicht indiziert.
Fehlerbedingt erfolgte eine beugeseitige Injektion im Bereich der Handgelenkswurzel, wobei hervorzuheben ist, dass die eingebrachte Menge einer Kortison-/Lokalanästhesiemischung nicht dokumentiert ist. Es handelt sich um ein Gebiet, welches nur eine geringe Weichteildeckung hat, so dass eine Verbindung zur Hautoberfläche durch Zurückweichen des Medikamentes bzw. Blut als gegebene Situation zu berücksichtigen und eine gründliche Desinfektion der Haut zu fordern ist. Dieses ist durch das nachträglich aufgebrachte Tape nicht gewährleistet, es muss eine sterile Wundabdeckung erfolgen. Hier ist ein Hygienefehler festzustellen.
Fehlerbedingt ist die Injektion mit Kortison im Bereich des Handgelenkes erfolgt und es ist zum Auftreten des Handgelenksempyems, Operationen und Klinikaufenthalt, mit einhergehenden vermehrten Beschwerden und schweren Funktionsdefiziten, gekommen.
Fazit
Vor der Durchführung von invasiven Maßnahmen ist eine standardgerechte Diagnostik und Auswertung derselben von entscheidender Bedeutung, wenn es zu einer Komplikation kommt. Wenn sich aus der Dokumentation keine Befunde ergeben, die eine Indikation begründen, ist diese als nicht gegeben anzusehen. Dann sind die invasive Maßnahme selbst und die damit verbundenen Komplikationen als fehlerbedingt zu werten, auch wenn diese nicht immer zu vermeiden sind.
Autoren:
Dr. med. Thilo Busche
Facharzt für Orthopädie, Ärztliches Mitglied
PD Dr. med. Helge Heinz Schauwecker
Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Handchirurgie
Christine Wohlers
Rechtsanwältin
Professor Dr. med. Walter Schaffartzik
Vorsitzender
Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern
Hans-Böckler-Allee 3, 30173 Hannover
Tel.: 0511/353939-10 oder -12
www.norddeutsche-schlichtungsstelle.de
Weitere Kasuistiken:
www.norddeutsche-schlichtungsstelle.de/fallsammlung