Aus der Fallsammlung der Norddeutschen Schlichtungsstelle
Im Weiteren wird von der sonst üblichen Form der Darstellung abgewichen, um einen Überblick über die Probleme im Zusammenhang mit Ohrspülungen zu geben. Auch wenn es sich um vergleichsweise wenig invasive Eingriffe handelt, können die Folgen für die Lebensführung der Patienten doch beachtlich sein.
Fall 1
Bei einer Patientin erfolgte in einer Hausarztpraxis wegen einer Behinderung im Ohr eine Untersuchung, bei der ein Ohrpfropf festgestellt wurde. Daraufhin begann die Arzthelferin, mit einer Ohrspritze den Gehörgang zu spülen. Die Hausärztin berichtet, dass durch einen Bedienfehler mit anschließender Schreckreaktion ihrer Mitarbeiterin der Gehörgang oberflächlich verletzt worden sei. Die Mitarbeiterin schildert in einer Stellungnahme, dass beim Spülen der rechten Seite der Kolben durch den Druck vom Gewinde nach hinten weggeflogen sei, wobei ein nicht übermäßig lautes Geräusch entstanden sei, etwa 20 cm vom Ohr entfernt. Anschließend sei der Gehörgang blutig gewesen, da eine Ohrenspritze mit spitzem Aufsatz verwendet worden sei.
Die Patientin suchte deshalb am folgenden Tag einen HNO-Arzt auf, der eine Gehörgangsverletzung rechts feststellte und behandelte. Das Trommelfell rechts wurde als intakt dokumentiert. Später erfolgte im Rahmen einer Kontrolluntersuchung beim HNO-Arzt ein Hörtest, der eine Hörminderung rechts ergab, weshalb eine Kortisonbehandlung eingeleitet wurde. Es besteht ein anhaltender Tinnitus.
Bewertung der Haftungsfrage
Wie von der behandelnden Ärztin und ihrer Angestellten berichtet, trat bei der Ohrspülung rechts ein Bedienfehler auf, wobei es zum einen zu einer Verletzung des Gehörganges kam, zum anderen zum Entstehen eines Lärmgeräusches in unmittelbarer Ohrnähe, welches geeignet war, eine akute Lärmschädigung des rechten Innenohres zu bewirken.
Die Bedienung von Geräten stellt im Praxis- und Klinikbereich ein sogenanntes vollbeherrschbares Risiko dar. In diesen Fällen ist die Arztseite verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen. Hierfür konnte die Ärztin keinen Beweis erbringen. Die durch den HNO-Arzt durchgeführten Höruntersuchungen dokumentieren einen für einen Lärmschaden typischen Hochton-Hörverlust des rechten Ohres, der sich trotz durchgeführter Kortisontherapie nur geringgradig besserte. Es bestanden bei der Patientin keine relevanten Vorerkrankungen.
Durch die fehlerhafte Durchführung der Ohrspülung und Verwendung falschen Gerätes (Spritze mit spitzem statt stumpfem Aufsatz) ist es zu einer behandlungspflichtigen Verletzung des Gehörganges gekommen und zu einem Lärmtrauma, welches zu einem Hörverlust rechts im hohen Frequenzbereich mit begleitenden Ohrgeräuschen führte.
Fall 2
Wegen eines Druckgefühls auf dem linken Ohr suchte ein Patient seinen Hausarzt auf. Dieser stellte bei der Untersuchung der Ohren fest, dass ein Ohrenschmalzpfropf den Gehörgang verschlossen hatte. Er konnte eine Entzündung der Ohren ausschließen und führte daraufhin eine Spülung des Ohres durch. Hierbei klagte der Patient über heftige Schmerzen. Nach Abbruch der Ohrspülung erfolgte eine nochmalige Untersuchung des Ohres, bei der der Verdacht auf eine Trommelfellperforation geäußert wurde. Deshalb wurde der Patient zum HNO-Arzt überwiesen. Bei der Untersuchung durch den HNO-Arzt stellte dieser ein Loch im rechten Trommelfell fest. Bei einem Hörtest wurde eine Schallleitungs-Schwerhörigkeit rechts festgestellt. Es erfolgte eine Trommelfellschienung mit Hilfe einer Silastik-Folie. Weitere Untersuchungen beim HNO-Arzt ergaben eine Wiederherstellung des vorherigen Hörvermögens. Es besteht noch eine umschriebene Einziehung des Trommelfells. Aufgrund der Verletzung ging der Patient von einer fehlerhaften Durchführung aus.
Bewertung der Haftungsfrage
Der Hausarzt hatte sowohl vor der Spülung, als auch nach der Spülung eine Untersuchung vorgenommen und auch die standardgerechten Maßnahmen ergriffen. Auch bei sorgfältigem Vorgehen ist es nicht immer vermeidbar, durch Spülung des Ohres das Trommelfell zu verletzen. Eine Trommelverletzung für sich beweist keine fehlerhafte Behandlung.
Fall 3
Die HNO-Ärztin behandelte eine Patientin die Hörgeräte trug im Rahmen eines Hausbesuches. Mittels einer Kürette wurde Ohrenschmalz aus beiden Gehörgängen entfernt, da bei der Patientin eine chronische Mittelohrentzündung mit Trommelfellperforation rechts und vernarbtem Trommelfell links bekannt war. Bei bekannter Einnahme von ASS trat eine geringgradige Blutung am linken Gehörgangsboden auf, weshalb eine antibiotikahaltige Salbenkompressionstamponade eingelegt wurde. Nach Angabe der HNO-Ärztin habe eine Verletzung am Gehörgangsboden bestanden. Eine Trommelfellverletzung habe nicht vorgelegen. Die Patientin suchte am selben Tag eine andere HNO-Ärztin auf, die eine Trommelfellperforation feststellte. Im Weiteren verheilte die Trommelfellverletzung folgenlos.
Bewertung der Haftungsfrage
Insbesondere bei Trägern von Hörgeräten kann es durch das Einsetzen der Ohrpass-Stücke in den Gehörgang zu einem Zurückschieben des physiologisch vorhandenen Ohrenschmalzes kommen, so dass gelegentlich der Gehörgang durch das Ohrenschmalz völlig verlegt wird. Dies kann auch bei normal hörenden Menschen ohne Hörgerät vorkommen, insbesondere dann, wenn beim nicht empfohlenen Reinigen des Gehörganges mit Wattestäbchen das Ohrenschmalz nach hinten geschoben wird.
Da diese den Gehörgang verlegenden Ohrpfröpfe einerseits zu einer Hörminderung führen, andererseits aber auch Entzündungen verursachen können, ist die Entfernung dieser Ohrpfröpfe medizinisch indiziert.
Zur Entfernung von Ohrenschmalz stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Häufig wird Ohrenschmalz durch Spülung mit körperwarmem Wasser entfernt. Dies darf aber nur dann durchgeführt werden, wenn gesichert ist, dass keine Trommelfellperforation oder sonstige Vorschädigung des Trommelfells wie z. B. Narbenbildung oder Atrophie vorliegt, da sonst Komplikationen wie das Aufreißen von Trommelfellnarben oder die Entstehung von Entzündungen zu befürchten sind.
Da die HNO-Ärztin aufgrund vorangegangener Untersuchung wusste, dass bei der Patientin eine chronische Mittelohrentzündung mit perforiertem Trommelfell rechts und vernarbtem Trommelfell links vorlag, wählte sie richtigerweise zur Entfernung des Ohrenschmalzes die instrumentelle Methode, bei welcher mit einer kleinen Kürette das Ohrenschmalz entfernt wird.
Bei einer derartigen Untersuchung kann es auch bei fachgerechter Anwendung der Kürette zu Verletzungen der Gehörgangshaut und auch des Trommelfells kommen. Diese Verletzungen können zum Teil mehr oder weniger stark bluten, dies insbesondere dann, wenn der Patient blutgerinnungshemmende Medikamente einnimmt, wie dies hier der Fall war.
Die Widersprüchlichkeit der nach der Pfropfentfernung erhobenen Befunde kann dadurch erklärt werden, dass bei Vorliegen einer Blutung ein Blutkoagel vor der Trommelfellperforation die Einsicht auf diese verdeckt. Im Übrigen wurde die Perforation am gleichen Tag erkannt, so dass sich diese Fehldiagnose nicht ausgewirkt hat.
Fall 4
Die Patientin war mehrfach wegen Hörminderung rechts bei Ohrpfröpfen in Behandlung bei dem in Anspruch genommen HNO-Arzt. Etwa 10 Jahre nach Erstbesuch stellte sie sich erneut wegen Hörminderung rechts in der Praxis vor. Es wurde ein obturierender Ohrpfropf diagnostiziert, der sich nicht absaugen ließ. Ausweislich der Unterlagen traten direkt bei der Spülung starke Schmerzen bei der Patientin auf sowie ein ausgeprägter Schwindel. Es wird ein Spontannystagmus nach links dokumentiert. Die daraufhin durchgeführte Otoskopie ergab eine Verletzung des Gehörganges bei intaktem Trommelfell.
Bewertung der Haftungsfrage
Der dokumentierte Nystagmus zur Gegenseite (Linksnystagmus bei Spülung rechts) spricht dafür, dass eine Spülung mit einer Temperatur deutlich unter der Körpertemperatur erfolgte. Bei Spülung mit Temperaturen über der Körpertemperatur treten Nystagmen zur gespülten Seite auf, bei Spülung mit Körpertemperatur kein Nystagmus. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei der thermischen Prüfung der Gleichgewichtsfunktion die Prüfung mit je 7° über bzw. unter der Köpertemperatur (also bei 44° und 30°) erfolgt, wobei bei diesen Temperaturen bereits ein subjektiv unangenehmes Schwindelgefühl auftritt mit entsprechenden Nystagmen (44° zur gespülten Seite, 30° zur Gegenseite). Auch erfolgt die Spülung bei dieser Untersuchung mit einer definierten Wassermenge von 100 ml (A. Ernst, Diagnostik des vestibulären Systems, in: Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, 2. Aufl. 2010, Thieme Verlag, S. 63). Im hier vorliegenden Fall wurde ein deutlicher Nystagmus zur Gegenseite beschrieben, was für eine Spülung mit kaltem Wasser spricht, da ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Spülung und Auftreten des Nystagmus bestand. Auch eine Spülung mit Wasser von Zimmertemperatur (22°) stellt einen erheblichen Reiz auf das Vestibularorgan dar, da die Differenz zur Köpertemperatur 15° beträgt. Beim Aufsuchen einer Badeanstalt kann eine derartige vestibuläre Reizung grundsätzlich nicht auftreten, da im Normalfall beide Ohren gleichzeitig dieser Temperatur ausgesetzt sind. Da anderweitige Ursachen für den Nystagmus im vorliegenden Fall nicht ernsthaft in Betracht kommen, ist davon auszugehen, dass die Wasserspülung mit einer Temperatur deutlich unter der Körpertemperatur erfolgte. Die Spülung mit deutlich unter der Körpertemperatur liegendem Wasser zum Zwecke der Ohrenschmalzentfernung ist als fehlerhaft anzusehen. Der Schwindel, die Schmerzen und die Gehörgangsverletzung waren als fehlerbedingt zu bewerten.
Fazit:
- Eine otoskopische Untersuchung vor und nach der Entfernung eines Ohrpfropfes ist notwendig.
- Vorzugsweise ist die Cerumenentfernung instrumentell (Kürette) oder durch Absaugen durchzuführen.
- Kann eine Trommelfellschädigung oder eine Entzündung sicher ausgeschlossen werden, darf eine Ohrspülung mit körperwarmem Wasser und geeigneter Spülvorrichtung, die die Anwendung eines geringen Druckes gewährleistet, durchgeführt werden.
- Die Patienten sind vor Behandlung über mögliche Komplikationen aufzuklären.
- Treten Beschwerden während der Behandlung auf, hat eine Untersuchung stattzufinden.
- Im Zweifel ist eine hno-ärztliche Untersuchung zu veranlassen.
- Es empfiehlt sich bei einer Trommelfellverletzung, den Patienten sachlich über den Vorgang zu informieren und entweder selbst die Komplikation zu behandeln oder eine hno-ärztliche Behandlung zu veranlassen. Um Konflikte zu vermeiden, sollte man dann den Patienten die Terminfindung beim HNO-Arzt abnehmen.
- Zwar beweist eine Trommelfellverletzung selbst grundsätzlich keine Fehler. In zwei der oben dargestellten Fälle haben aber das Verletzungsmuster bzw. die fehlende Kontrolle über ein sog. vollbeherrschbares Risiko zur Bejahung eines Haftungsanspruchs geführt.
Autoren:
Prof. Dr. med. Heinz-Georg-Schroeder
Facharzt für HNO-Heilkunde
Ärztliches Mitglied
Christine Wohlers
Rechtsanwältin
Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik
Vorsitzender
Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern
Hans-Böckler-Allee 3, 30173 Hannover
Tel.: 0511/35 39 39-10 oder -12
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