Aus der Fallsammlung der Norddeutschen Schlichtungsstelle

Kasuistik

Bei einem 74-jährigen Patienten bestand seit 15 Jahren eine Prostatavergrößerung mit entsprechenden Miktionsbeschwerden, die konservativ medikamentös behandelt wurden. Es wurde bei anhaltenden Miktionsbeschwerden bei einem Prostatavolumen von 50 ml (normal ca. 20 ml) und einem PSA-Wert von 8,71 ng/ml eine Prostatabiopsie vor einer transurethralen Prostataresektion (TURP) überlegt durchzuführen.
Nach Einweisung in eine Klinik wurde präoperativ ein deutlich erhöhter PSA-Wert von 10,3 ng/ml in der Klinik erhoben. In der Urologischen Abteilung erfolgte dann die Operation. Bei primär postoperativ unauffälligem Verlauf kam es nach Entlassung aus der stationären Behandlung zu einer Harninkontinenz II. bis III. Grades. Als Ursache hierfür wurde endoskopisch ein Schließmuskeldefekt bei einer Breite von 4 mm gesehen.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen

Der Patient trägt vor, dass er seit dem operativen Eingriff der Prostataausschabung vollständig inkontinent sei. Er gehe davon aus, dass bei dem Eingriff ein Fehler unterlaufen sein müsse. Dieses habe zu einer beträchtlichen Einbuße an Lebensqualität geführt.

Stellungnahme der Ärzte

Auf den Vorwurf fehlerhaften Handelns wurde mit einer eigenen Darstellung des Sachverhaltes reagiert. Behandlungsfehler wurden in Abrede gestellt.

Gutachten

Der urologische Gutachter hat folgende Kernaussagen getroffen: Die durchgeführte TURP sei als diagnostisches Mittel zur Sicherung eines Karzinoms der Prostata weder nach den Leitlinien, noch entsprechend allgemeiner Behandlungsgrundsätze konform und entspräche nicht dem medizinischen Standard. Im Falle eines tatsächlich nachfolgend festgestellten Karzinoms würden kurative Therapien durch die vorangegangene TURP entweder ganz unmöglich gemacht (Seeds-Implantation – Einbringen von winzigen Strahlenquellen direkt in den Tumor) oder im Risikoprofil erhöht (Radikaloperation). Das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung erfülle den Umstand eines Diagnosefehlers. Daher sei die TURP nicht indiziert gewesen. Die Operation sei nicht fachgerecht durchgeführt worden, da während des Eingriffes thermische Schäden im Bereich des Schließmuskels gesetzt worden seien, die durch Nekroseab­stossung zu einem nachgewiesenen Schließmuskeldefekt geführt hätten. Die aufgetretene Harninkontinenz mit narbigem Schließmuskeldefekt spräche für ein fehlerhaftes ärztliches Vorgehen. Bei richtigem ärztlichem Handeln seien die oben dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zu erwarten gewesen.

Stellungnahme zum Gutachten

Bezüglich der Indikationsstellung wird angeführt, dass im Sinne einer symptomatischen Therapie die Indikation zur TURP gegeben gewesen sei und weitere Behandlungen vom histologischen Ergebnis abhängig zu machen seien. Bezüglich der Harninkontinenz und des Schließmuskeldefektes wird vorgetragen, dass die damit verbundene Inkontinenz nicht Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers, sondern das bedauerliche Eintreten eines aufgeklärten Risikos sei.

Bewertung der Haftungsfrage

Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten an.

Im Lauf von zwei Jahren war der PSA-Wert von 6,18 auf letztendlich 10,3 ng/ml gestiegen. Unter Wertung der Parameter von Lebensalter, PSA, Prostatagröße (50 ml) empfiehlt der Prostatakarzinomrisikorechner der Charité bei dieser Konstellation eindeutig die Vornahme von Prostatastanzen. Im Rahmen des transurethralen Eingriffes war seitens der Anästhesie der Allgemeinzustand mit ASA II (also altersentsprechend gut) eingeschätzt worden, so dass es fehlerhaft war, dass vor der vorgenommenen transurethralen Resektion der Prostata nicht entsprechend Prostatastanzen gemacht wurden. Aus den Unterlagen ist auch nicht ersichtlich, dass der Patient auf die Gewebeentnahmen vor der transurethralen Prostataresektion verzichten wollte und eine histologische Sicherung der Prostata alleine durch das Resektat der Prostata zu bestimmen sei.

Die Operation an diesem Tag selbst und die damit verbundenen Beschwer­den (Sphinkterdefekt) sind als fehlerbedingt zu bewerten. Dass es ggf. bei einer späteren TURP auch zu diesem Defekt gekommen wäre, lässt sich nicht beweisen (Beweislast Arzt).

Fazit

Hier zeigt sich wieder einmal, wie weitreichend sich eine fehlerhaft gestellte Operationsindikation auswirkt. Es kommt nicht mehr darauf an, ob die Komplikation aufgrund einer fehlerhaften Operationsdurchführung eintritt oder dass sie auch eintreten kann, wenn man später operiert hätte. Ausschlaggebend ist, dass die Komplikation aufgrund der Operation aufgetreten ist und dass die Arztseite nicht beweisen kann, dass sie auch bei einer späteren Operation aufgetreten wäre.


Verfasser:
PD Dr. med. W. Diederichs
Facharzt für Urologie
Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle

Christine Wohlers
Rechtsanwältin der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern

Professor Dr. med. Walter Schaffartzik
Ärztlicher Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern in Hannover

Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern
Hans-Böckler-Allee 3, 30173 Hannover
Tel.: 0511/35 39 39-10 oder -12
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