Gerald Wolf - Das LiebespulverGerald Wolf

Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale) 2013, ISBN 978-3-95462-096-8,
Taschenbuch, 296 S., € 12,95

Wie reflektiert man als Ruheständler ein abgeschlossenes Berufsleben? Prominente tun das in Form von Memoiren. Bescheidenere Existenzen blicken mit der Feder auf Episoden einer besonnten Vergangenheit zurück. Gerald Wolf, ehemals forschender und lehrender Biologieprofessor und Direktor des damaligen Instituts für Medizinische Neurobiologie an der Magdeburger Universität, geht aktiver heran. Er verabschiedet sich mit Romanen aus der Wissenschaft. Das hat den Vorteil, dass in diesem Sujet der wissenschaftlichen Phantasie resp. Illusion die Pforten offen stehen, fachspezifische Erfahrung vorausgesetzt.

Im vorliegenden Buch geht es um die Liebe, wie sie der Naturwissenschaftler meint fassen zu können. Der Protagonist des Romans, Lucas Liebetrau, experimentell arbeitender Mediziner an einem Universitätsinstitut, ist mit den Wirkungen des Hormons Oxytocin befasst. Dessen Einfluss auf das Verhalten von Menschen und Versuchstieren in Bezug auf Kuscheln, Lieben, Treue und Vertrauensseligkeit sind bekannt. Nur bei der gezielten klinischen Anwendung haperts noch. Nicht bekannt ist, dass der beohrringte Lucas L., ein höchstmännlicher Mittdreißiger, klammheimlich und ohne Wissen seines Chefs der Droge den klinischen Einsatz per os ebnet. Ihm gelingt, was noch niemand vergönnt war, die Synthese eines oral applizierbaren Peptidomimetikums, das die Blut-Hirnschranke durchlässig macht und die Wirkung des Oxytocins durch Ausschaltung des Vasopressins verstärkt. Die oben erwähnten Hormoneffekte stehen kurzfristig zur Verfügung und der Paarung auf Anhieb steht nichts mehr im Wege. Von der Anlage her schon ziemlich reduktionistisch und lüstern auf Beine, Kurven, Busen und Haut seiner weiblichen Arbeits- und Spielgenossinnen fixiert, probiert er das Pulver an seinen Partnerinnen und sich aus, mit dem erwarteten, wenn auch vorübergehenden Erfolg. Pharmaindustrie, Ge-
heimdienste und Kriminelle bekommen Wind von dieser Entwicklung und wollen an den Stoff bzw. seine Herstellungsmodi. Schließlich verheißt das ein einträgliches Geschäft. Außerdem, eine beimpfte Trinkwasserversorgung wäre in der Lage, ganze Populationen und Kampfverbände in beängstigendem Ausmaß vertrauensselig, anhänglich und für die Gegenwehr untauglich zu machen. So bleiben die lukrativen finanziellen Angebote bzw. Drohungen für Leib und Leben des Wissenschaftlers nicht aus. Die Entführung auf eine entlegene kleine Insel unterstreicht das. Letztendlich aber siegen Weisheit und  wahre Liebe. Selbsteinsichtig lässt er das Projekt in wissenschaftlicher Verantwortung fallen und widmet sich seiner eigenen Vermehrung. Schließlich endet das Ganze in einem Nebel von Traum und Tag,  in einer philosophischen Mischung aus Gott und der Liebe, beide von unwahrhaftiger Natur – und in einem Fastwunder. Die geliebte Konkurrentin und  Mitwissenschaftlerin Marion von B. nämlich wird trotz der Annahme einer Unfruchtbarkeit schwanger, von Lucas L. versteht sich. Sie wird zu der Frau, die ein Kind von ihm bekommen wird und das auch nach seinem Wunsch darf.

Ein Wissenschaftsroman? Die breite Auslegbarkeit dieses Begriffes lässt das Ja als Antwort zu, nicht ohne auch an das Genre der Telenovela denken zu lassen. Das Buch liest sich leicht, soweit es nicht mit biochemischen Spezifika überfrachtet ist. Letztere, wahrscheinlich dem Ego des Autors verdankt, könnten den Interessentenkreis eingrenzen. Die Sprache ist ansonsten die eines alltäglichen Wissenschaftsbetriebs mit seinen Erfolgen, Zwängen, Freundschaften und Intrigen. Es kommen viele Umgangssprachlichkeiten und Anglizismen zum Einsatz. Ein literarischer Anspruch besteht also offensichtlich nicht - leichte Lektüre für Liebhaber eines solchen Stoffes.

F.T.A. Erle, Magdeburg