Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten
Campus Verlag Frankfurt/New York 2013, Taschenbuch, ISBN 978-3593-39723-8, 292 S., € 24,90
„Auf Grund meiner Interesse habe ich Lust und Liebe mich als Henker oder Scharfrichter zu bewerben“. So lautet der Eingangssatz im Bewerbungsschreiben des Mietwagenfahrers Werner Adolf G. aus Falkenberg vom 6. Januar 1937 an das Justizministerium in Berlin.
Der Journalist Klaus Hillenbrand hat sich hier eines schrecklichen Themas angenommen, des juristisch sanktionierten Mordes nach zivilem Gerichtsurteil auf der Grundlage des nationalsozialistischen Unrechts. Ca. 16 000 Verurteilte, Menschen des Widerstandes und politische Gegner, Kriminelle, sog. Rassenschänder, Bagatelldelinquenten u. v. a. m. wurden von 1933 bis 1945 dem Scharfrichter übergeben, mit dem Handbeil, der F-Maschine (Guillotine), dem Strick, in Ausnahmen der Kugel. Diese Zahl dokumentierter Hinrichtungen geben die Justizakten des Reiches und der später angegliederten polnischen und tschechischen Gebiete her. Nicht dabei ist die große Anzahl aus der Militärgerichtsbarkeit, den Exekutionen hinter der Front, in Lagern und psychiatrischen Anstalten ohne jegliche rechtliche Würdigung, ganz zu schweigen von den Dimensionen des Holocaust.
Es geht in diesem Buch nicht vordergründig um die Opfer sondern um die Täter als Endglieder der juristischen Barbarei, um die Henker und Henkersknechte. Hillenbrands Untersuchungsmaterial sind knapp 500 Initiativbewerbungstexte zwecks Anstellung zum Töten als Beruf und für den Lebensunterhalt. Es sind ausschließlich Männer im Alter von 15 bis 66 Jahren, von Königsberg bis Aachen und Borkum bis Neusiedel. Es geht um eine Tätigkeit, die auch in der NS-Zeit keinerlei gesellschaftliche Reputation brachte, nicht einmal bei der ebenfalls mordenden SS. Der Autor nimmt anhand der meist handschriftlichen Schreiben aus den einschlägigen Archiven eine deskriptive und interpretative Dokumentenanalyse vor. Es sei hier vorweg gesagt: Fast keiner der Antragsteller fand bei den avisierten Ämtern und Ministerien Gehör. Die Ablehnung war die Regel, nicht aus humanen sondern aus organisatorischen Gründen. Sie alle hatten das Gespür dafür, dass es auf Grund der politischen Lage und der Ankündigungen ihres Führers und seiner Gefolgschaft bald einen Mangel an Volksgenossen geben würde, die sich für diese kalte Arbeit eignen könnten. Es war zwar über die Jahre der NS-Zeit, insbesondere im Krieg, zu einem unheimlichen Anstieg der Zahl der Todesurteile gekommen. Nur wollten die Justizbehörden lieber dieser Herausforderung durch eine Effizienzsteigerung mit dem vorhandenen bzw. nur mäßig aufgestockten Personal und Vermehrung der zentralen Richtstätten begegnen. Es hatte sich bewährt, dass der „Beruf“ in der Hand von sog. Scharfrichterdynastien lag. Sie blieben Selbständige, sozusagen freie Mitarbeiter des Staates mit einem sicheren Festhonorar und gestaffelten Zuschlägen pro Hinrichtung. So wurden sie zunehmend wohlhabend, wenn auch weiterhin geächtet. Ihre Gehilfen suchten und bildeten sie sich selbst aus. Die Kosten der Hinrichtung stellte die NS-Justiz den Angehörigen in Rechnung. Die Magdeburger wurden übrigens in Halle, zeitweise von einem Magdeburger gerichtet.
Anhand der Antragstexte, von denen im Buch 121 vollständig aufgeführt sind, deren Schreiber ja nicht wissen konnten, wie gering ihre Chancen zur Übernahme waren, nimmt der Autor eine Katalogisierung nach folgenden Typmerkmalen vor: Die Verarmten; Die Überzeugten; Die Brutalen; Die Unauffälligen; Die Verwirrten; Die an Tod Gewöhnten; Die Erfahrenen. Auffallend ist der hohe Anteil an Handwerksberufen, vor allem Metzger, Schlächter und Abdecker. Deutlich wird der Einfluss von Fronterfahrungen. Eine große Rolle spielt auch die prekäre wirtschaftliche Existenz, an der immer die anderen Schuld sind, Kommunisten und Juden. Fast alle Bewerber stellen ihre nationalsozialistische Gesinnung und ihre Kämpferanamnese heraus, wobei nur der kleinere Teil NSDAP-Mitglied ist. Anhand dieser Kohorte kann auf eine zunehmende Verrohung der Bevölkerung mit Fortdauer der Diktatur geschlossen werden. Härte, Hass, Ehre und Treue zum Führer werden herausgestellt. Fast alle sind sich mit ihrem Angebot einer guten Tat im Sinne der Volks- und Rassenhygiene bewusst.
Mitunter entwickelt sich die Lektüre ins Absurde, wenn z. B. von einem arrivierten Henker berichtet wird, dass er beim Lösen des Fallbeils „Achtung“ rief oder wenn sich ein ungeschickter Gehilfe mit demselben den Daumen abhacken ließ, was ihm nach Wundinfektion das Leben kostete. Dem Vorsitzenden des Volksgerichtshofes Roland Freisler erschien übrigens das Guillotinieren als zu tot, seelenlos und unpersönlich. Er schwärmte für das Handbeil. Das Armesünderglöckchen überdauerte die Massen an Tötungen im Krieg ebenso wenig wie die Henkersmahlzeit. Der schwarze Anzug der Scharfrichter blieb aber verpflichtende Etikette, auch bei den Morden in Reihe und im Akkord. Selbst durch die Bombardierungen der Alliierten ergaben sich keine erheblichen Störungen in diesem „Geschäft“. Nur zu Weihnachten und Ostern gönnte man sich eine dienstliche Pause.
Am Beispiel des Prager Henkers Alois Weiß stellt Klaus Hillenbrand eine Biographie nach, die alle typischen Merkmale der gnadenlosen Vollstrecker der NS-Justiz aufweist. Sie leben heute alle nicht mehr und überlebten das Ende der Diktatur unterschiedlich lange, je nach Besatzungszone. Teilweise töteten sie infolge der Nürnberger Prozesse im Auftrage weiter oder verschanzten sich hinter dem legalen Auftrag. Mit Abschaffung der Todesstrafe durch das Grundgesetz waren ihre Fähigkeiten gegenstandslos geworden. In der DDR wurde jedoch die letzte Hinrichtung erst 1981 durch Genickschuss an einem Stasi-Offizier vollzogen.
Zahlreiche Anmerkungen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister unterstreichen die Seriosität der Publikation. Das Buch beeindruckt! Man sollte sich zur Lektüre Zeit nehmen. Es eignet sich nicht zur guten Nacht, für die Reise oder als Geschenk!
F.T.A. Erle, Magdeburg