Direktor der Augenklinik von 1966 – 1987 an der Medizinischen Akademie Magdeburg
Ein erfülltes Leben hat sich vollendet!
Kurz vor seinem 92sten Geburtstag hat Herr Prof. em. Dr. med. habil. Hans-Günter Gießmann in seiner ehemaligen Wirkungsstätte, der Medizinischen Akademie Magdeburg, am 11. März 2014 seine Augen für immer geschlossen. In seiner fast 30-jährigen Tätigkeit (1958 – 1987) ging es ihm hier stets darum, das Bewahrenswerte der traditionellen deutschen Universität mit modernen Aspekten einer erneuerten Hochschule zu verbinden. Wir verlieren mit ihm einen Menschen und Ordinarius, der durch seine Gründlichkeit, seine Kollegialität und durch seine Menschlichkeit Vorbild für seine Schüler und weit darüber hinaus für viele andere Menschen war.
Bereits als junger Mensch engagierte er sich im Dienste des Menschen als Sanitäter und trat mit 17 Jahren dem Deutschen Roten Kreuz bei. Sein Berufswunsch war es von Anfang an, Arzt zu werden. Die Kriegsjahre zwangen ihn leider dazu, sein Studium von 1940 bis 1949 in Berlin und Rostock mehrmals zu unterbrechen. Noch während seines chirurgischen und gynäkologischen Studiums promovierte er 1951 mit dem Thema „Über die Beeinflussung des Blutbildes durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht in Narkose“.
Unmittelbar nach seiner Facharztausbildung für Physiologie am Physiologischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin wechselte Dr. Hans-Günter Gießmann an die Augenklinik der Medizinischen Akademie Magdeburg, wo er im Jahr 1958 unter Prof. Dr. Andreas Heydenreich eine augenärztliche Ausbildung begann und sich 1963 mit der Schrift „Untersuchungen über die Pathophysiologie der Amblyopie“ habilitierte. Gleichzeitig entwickelte er die in Magdeburg 1958 gegründete Schielabteilung mit der Sehschule weiter, so dass die Behandlungsanzahl schnell anstieg. Für wissenschaftliche Arbeiten richtete er 1959 ein Laboratorium für physiologisch-optische Untersuchungen ein.
Nach der Berufung von Prof. Dr. Heydenreich 1966 nach Jena wurde Dr. Hans-Günter Gießmann am 1.9.1966 auf den Lehrstuhl für Augenheilkunde in Magdeburg berufen und zum Direktor der Augenklinik ernannt. Eine große Aufgabe stand vor ihm.
Er profilierte die Klinik weiter. Die wissenschaftlichen Schwerpunktaufgaben umfassten im Wesentlichen pathohistologische Arbeiten, Störungen des Blutkreislaufes im Auge, physiologisch-optische Arbeiten zur Entwicklung und wissenschaftlichen Prüfung pleoptischer und orthoptischer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden sowie arbeitshygienische Untersuchungen in der Industrie.
Herr Prof. Gießmann begann 1967 mit der Einführung der Mikrochirurgie in der Magdeburger Klinik. Er war der erste Ophthalmologe in der ehemaligen DDR, der hier die Mikrochirurgie einführte, sie wissenschaftlich sowie praktisch weiter entwickelte, insbesondere die verschiedenen Arten von Keratoplastiken und mikrochirurgischen Glaukomoperationen. In zahlreichen Kursen vermittelte er der jungen Augenärztegeneration diese Operationstechnik. Gleichzeitig entstanden wissenschaftliche Operationsfilme, die auf internationalen Kolloquien und Kongressen Anerkennung fanden.
Der Durchbruch in der Mikrochirurgie war ihm gelungen. Prof. Gießmann führte in den 70er Jahren Mikrochirurgiekurse an der Universität in Kairo und Alexandria durch und operierte hier erfolgreich.
Unter seiner Leitung wurde 1970 der VII. Kongress der Gesellschaft der Augenärzte der DDR mit internationaler Beteiligung ausgerichtet.
In seiner Amtszeit als Rektor der Medizinischen Akademie Magdeburg von 1970 bis 1973 setzte er sich maßgeblich für zunehmende Forschungskooperationen mit den anderen Magdeburger Hochschulen ein.
1971 entstand unter Prof. Dr. Gießmann eine Forschungskooperation der Augenklinik mit dem Fachbereich für Arbeitswissenschaft der Technischen Hochschule Magdeburg, geleitet durch Prof. Dr. Trognitz. Beide widmeten sich dem Thema: „Sehbeschwerden am Arbeitsplatz und der Einfluss der Beleuchtungsstärke auf geistige und manuelle Leistungen“.
Herr Prof. Gießmann war an der Entwicklung der ersten Intraokularlinsen in der DDR beteiligt und implantierte diese erstmals 1974. Ein Durchbruch war ihm auch auf diesem außerordentlichen wichtigen wissenschaftlichen Gebiet gelungen.
Er war einer der führenden Ordinarien in der Ophthalmologie und national sowie international eine anerkannte Persönlichkeit, was er selber durch seine bescheidende Art nie hervorhob.
Prof. Gießmann hielt Vorträge auf internationalen ophthalmologischen Kongressen u. a. in Neu Delhi, Kairo, Alexandria und Mexiko und weilte zu längeren Studienaufenthalten an internationalen Augenkliniken.
Seine Patienten, die Lehre, Forschung und die Förderung seiner Mitarbeiter lagen ihm stets am Herzen. Aus der Ära Prof. Gießmann gingen mehrere Ordinarien hervor, wie die Professoren Schlote, Franke und Marré. Zahlreiche seiner Schüler wurden zu Chefärzten an bedeutende Kliniken berufen. Auch darauf war Prof. Gießmann stolz.
Prof. Gießmann sorgte 1968 – 1972 für eine Modernisierung des historischen Gebäudes der Augenklinik mit dem Anbau eines neuen Operationssaales, der Einrichtung einer Bibliothek, zweier Forschungslabore für physiologische Optik und eines Labors für die Züchtung von Gewebe. Zudem schuf er eine Abteilung für Elektroretinographie. Nach der Renovierung wurden zusätzliche Spezialsprechstunden in einer pleoptischen-orthoptischen Abteilung und einer physiologisch-optischen Abteilung abgehalten. Eine neu eingerichtete Augenoptikerwerkstatt half bei Forschungsarbeiten.
Prof. Gießmann wirkte in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Gremien mit und gab sein Wissen in nationalen und internationalen Publikationen weiter. Die Augenklinik hat sich unter seiner Leitung zu einer international anerkannten Einrichtung entwickelt, deren weitere Profilierung er voller Stolz bis zu seinem Tode mit großer Aufmerksamkeit verfolgte.
Für seine hervorragenden Verdienste wurden Prof. Gießmann zahlreiche Auszeichnungen sowie der Titel OBERMEDIZINALRAT verliehen.
Prof. Gießmann leitete die Augenklinik bis zu seiner Emeritierung 1987.
In Würdigung seines verdienstvollen Wirkens als langjähriger Direktor der Klinik für Augenheilkunde, als Rektor und zuvor Prorektor für Medizin und 1. Prorektor der Medizinischen Aka-demie Magdeburg sowie in Anerkennung seines Schaffens als Arzt, Hochschullehrer und Forscher ernannten der Rektor und der Wissenschaftliche Rat Prof. Dr. Hans-Günter Gießmann im Dezember 1988 zum EHRENSENATOR der Medizinischen Akademie Magdeburg. Von 1990 – 1992 war er Vorsitzender des Konzils der Medizinischen Hochschule Magdeburg.
Er blieb sein Leben lang mit der Ophthalmologie, mit seinen Schülern sowie mit seinen Krankenschwestern eng verbunden.
Auf der 13. Live-Surgery der Magdeburger Augenklinik, anlässlich seines 90sten Geburtstages, begeisterte Prof. Gießmann noch einmal das Auditorium mit der ihm eigenen spannenden gründlichen Vortragsart.
An seinen letzten gemeinsamen öffentlichen Auftritt im hohen Alter von 91 Jahren mit dem jetzigen Klinikdirektor, Herrn Prof. Dr. med. H. Thieme, im November 2013 bei der 61. Magdeburger Augenärztlichen Fortbildung, erinnerte er sich sehr gern zurück.
Im Jahr 2013 gratulierte er der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit den Worten: „Ich wünsche als (m. W.) ältester noch lebender Ordinarius der Magdeburger Hochschulen der jungen Universität eine fruchtbare Zukunft in Lehre und Forschung. Universitas magdeburgensis vivat, crescat, floreat!“
Herr Prof. em. Dr. med. habil. Hans-Günter Gießmann war seit 75 Jahren Mitglied im Deutschen Roten Kreuz. Als früherer Präsident des DRK-Bezirkskomitees Magdeburg initiierte er 1990 mit seinen Erfahrungen, seiner Kompetenz und mit seiner Leidenschaft für die Idee des Roten Kreuzes maßgeblich die Gründung des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Deutschen Roten Kreuzes und war hier bis zu seinem Tod Ehrenpräsident.
Mit dem Tod unseres Vaters und Lebensgefährten ist ein Mensch von uns gegangen, der eine große Lücke hinterlässt.
U. Gießmann, B. Holze, S. Trognitz