Buchcover: Die Elbe von Uwe RadaEuropas Geschichte im Fluss

Siedler Verlag München 2013, ISBN 978-3-88680-995-0, Leinen m. Schutzumschl.,
Kleinoktavformat, farbig u. sw-illustr., 320 S., € 19,99

Ist denn die Elbe immer noch dieselbe, wie es im Lied heißt? Mitnichten! Folgt man dem Lauf eines Flusses, so kann man sich seiner wechselvollen Geschichte und Prägung nicht entziehen. Für Uwe Rada, Buchautor und Journalist, zeigt sich der Zusammenhang zwischen Historie und Geographie des Elbverlaufs u. a. aus der eigenen Familiengeschichte mit Wurzeln in den Sudeten, in Böhmen am Oberlauf, dort Labe geheißen. Dieser persönliche Anschub veranlasste ihn offensichtlich, seinem Fluss eine gut gefüllte Schatulle in Buchform zu widmen. Sie enthält Bilder und Geschichten, kleine und bedeutende Ereignisse, Panoramen, Dramen, Elend, Kriege, Handel und Wandel und was halt geographisch bezogene Geschichte so bietet.

In zehn thematisch gefassten Kapiteln lenkt der Autor den interessierten Leser auf die Regionen und Länder zwischen der Elbequelle im Riesengebirge und der Nordseemündung an der Kugelbake in Cuxhaven, insgesamt 1094 km, davon 774 km in Deutschland. Dieser Fluss macht zwei europäischen benachbarten Ländern und sieben deutschen Bundesländern seine kürzere oder längere Aufwartung, bietet sich als Durchläufer, als Verkehrsweg, als Landschafts- und Naturgestalter, als Erzähler, als Gewalttäter, immer wieder auch mal als Grenzer an, mit aller Kreativität, die einem Fluss eigen ist.

Im Prolog des Buches wird die Geschichte eines konservativen tschechischen Politikers erzählt, der nicht in die stalinistische Nachkriegsgeschichte passte und sich dem Zugriff der neuen Geheimpolizei mit Familie auf einem Frachtschiff der Binnenschifffahrtsgesellschaft CSPL über die Elbe in den Westen entzog. Anhand solcher oder ähnlicher Schilderungen erfährt man Facetten der Zeitgeschichte, die aus Geschichtsbüchern nicht so anschaulich ans Licht kämen. Das Kapitel „Von Augustus bis Adenauer“ illustriert ein anderes Thema, das der Landnahme. Die römische Speerspitze sah den Fluss in der Gegend der Saalemündung vor sich und wich vor ihm 9 v. Chr. zurück. Für Schlachten, Feldzüge, Siege und Niederlagen war er Aufforderung und Begrenzung. Slawen, Franken, Sachsen, Amerikaner und Preußen kämpften an ihm über die Jahrhunderte. Auch die ostelbischen Junker einschließlich Kanzler Bismarck gehörten zu seinen Beziehungen. So nimmt einen gebührenden Raum das nur zeitweise friedliche Verhältnis von Sachsens Glanz und Preußens Gloria ein, ein Schlüssel zum Verständnis der heutigen Kulturlandschaft an der Elbe. Eine solche Sichtachse zielt auf die in Sandstein geformte barocke Sinnenfreude im Süden und die backsteinerne hanseatische Nüchternheit im Norden, unterbrochen vom besonderen Gestaltungswillen und der reformerischen Geisteshaltung des kleinen Musterstaates in Anhalt. Man trifft in diesem Flussbuch Martin Luther, August den Starken, Napoleon, Tilly, die Festung Magdeburg und die Schlacht bei Königgrätz u. v. a. m. Jedes dieser Themen hat seine eigene Chronologie, die übergreifende Systematik dazu liefert eine Zeittafel im Anhang. Unter anderen Kapiteln wird die Geschichte an der Elbe als literarischer Erinnerungsort, als wirtschaftliches Streitobjekt, als touristisches Angebot und als Wasserstraße dezidiert oder mehr beiläufig beschrieben. Dabei erlaubt sich der Autor notwendiger- oder verständlicherweise Ausflüge und Einblicke in die durchzogenen Länder und Epochen, nach Theresienstadt, der barocken Festung mit ihrem Vorzeige- KZ, einem Idyll nur für die SS. Auch die Ufermarke der romantischen Burg Schreckenstein bei Usti nad Labem bzw. Aussig findet sich in einem Kapitel wieder, hier als Ort, an dem die Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen den Deutschen und den Tschechen beispielhaft und nachvollziehbar offen gelegt werden. Weitere Themen sind die Entwicklung der malerischen Sächsischen Schweiz aus den „böhmischen Wäldern“, die Umweltgeschichte der Elbe und die besondere Bedeutung Ihres unteren Abschnittes für die Prosperität der Hamburger Wirtschafts- und Handelsmacht bis heute.

Rada gelingt es, die Geschichte des Flusses und den Fluss der Geschichte zusammen zu bringen bzw. sichtbar zu machen. Die Kapitel sind Seite für Seite prall gefüllt mit historisch meist sicheren, wenn manchmal auch anekdotisch anmutenden Informationen, die der Leser gern aufnimmt, vielleicht wieder vergisst, zumindest erst einmal genießt. Man spürt das persönlich intendierte Engagement des Autors, die individuelle Note seiner nicht nur fleißigen Arbeit. Es gibt viele Bücher über die Elbe, jedes vielleicht unter einem besonderen Aspekt. Dieses hier gibt dem Gesicht des Flusses irgendwie ebenso europäische wie auch provinzielle Züge. Man liest es gern, sicher nicht nur als Anrainer, und erfährt wieder einmal, dass der geachtete und gefürchtete Rübezahl des Riesengebirges ein Harzer war. Die Elbe, ein Fluss der verbindet und ein hier lesend zu erschließender - eine gleichermaßen spannende und entspannende Lektüre, denn die lebendige Elbe war in der Geschichte und ist in der Gegenwart nie dieselbe.

F.T.A. Erle, Magdeburg
Cover: Verlag