Wohl bekams! In hundert Menus durch die Weltgeschichte (Cover: Verlag)
Wohl bekams! In hundert Menus durch die Weltgeschichte (Cover: Verlag)

Herausgeber: Tobias Roth und Moritz Rauchhaus

Verlag „Das kulturelle Gedächtnis Berlin“ 2018, ISBN 378-3-946990-23-9, 2. Auflage, graphisch reich dekoriert, 336 Seiten, € 28,-

Die Rezension ist der Chefredakteurin des Ärzteblattes Sachsen-Anhalt, Frau Dr. Simone Heinemann-Meerz, anlässlich ihres 60. Geburtstages gewidmet.

„Das gemeinsame Essen ist eine der intensivsten Szenen des Zusammenlebens…“, steht im Nachwort dieses Buches. Wie wahr und doch nicht alltäglich. Roth und Rauchhaus haben sich die unheimliche Mühe gemacht, exakt 100 Menus der Geschichte anhand niedergeschriebener Speisefolgen historischen Tafelns in diesem Buch zusammenzustellen und sprachlich aufzubereiten zur bekömmlichen Lektüre. Reguläre Seitenzahlen gibt es in diesem Werk nicht, sieht man von den römischen im Anhang ab. Die Menus der Dinner sind ein- oder mehrseitig unter laufenden Nummern in einer vorangestellten Liste aufgeführt, in feinem graphischem Gewand und unter strikter chronologischer Reihung. Diese Protokolle der Tafelfreuden entstammen überwiegend europäischen historischen Ereignissen, zu einem Fünftel aber auch von anderen Kontinenten sowie einmal aus dem Orbit, einmal vom Mond und zweimal aus Flügen über dem Atlantik.

Der jeweiligen Speisefolge sind kurze, jedoch sehr informative und gewitzte Essays zum Grunde des Dinners vorangestellt. Es gibt keine Fotos zur Illustration. Die Texte und die begleitenden Graphiken malen selbst! Es sind lediglich auf den Seiten ein bis zwei feingestrichte Darstellungen von den Stofflieferanten marginal angebracht, eine Schildkröte, ein Olivenzweig, eine Meeresfrucht, ein Truthahn u. v. a. m., deren einige man als Vignetten auf dem Einband in ansprechender Zweifarbigkeit wiederfindet. Der Anlass der jeweiligen Mahlzeit wird zusätzlich im erklärenden Essay mitunter von einem zart gezeichneten Porträt gekrönt, z. B. der Marie Antoinette, Otto von Bismarcks, Marie Curies, einer Gitarre Elvis Presleys oder dem Weißen Haus bei Barack Obamas Abschied aus dem Amt. Aus der Reihe fällt nur die Nr. 1. Anlass war hier die Einweihung des neuen Palastes in Nimrud am Tigris im Jahre 879
v. Chr. Gastgeber war König Assurnasirpal II. Er bewirtete fast 70.000 Gäste über 10 Tage. Es kamen an die 8.200 Schlachttiere, unzählige Körbe Eier, Obst, Gemüse und Knabbereien auf die Tische und viele Krüge Honig, Milch, Bier, Wein und Met. Die Informationen dazu waren erst 1951 von britischen Archäologen einer just ausgegrabenen Stele aus Sandstein entnommen worden.

Ansonsten reichen die ausgewählten Anlässe ab Nr. 2 von der Einweihung der Pfarrkirche St. Marien in Weißenfels 1302 bis zur Hochzeit einer der beiden Autoren 2018 in München (Nr. 100). Spektakulär gibt sich die Menukarte einer internationalen Adelshochzeit 1368 in Mailand (Nr. 4), bei der große Teile der Speisen als vergoldet angeboten werden inkl. Fisch und Reiher!

Die geschriebene Aufführung der Speisen auf Menukarten hat etwas Poetisches, wenn da z. B. steht: Gebratene Kapaune in Königssauce mit gebackenem Speckmantel, dazu gefüllte Teigtaschen mit kandierten Pistazien und in Butter gebackenem Eigelb. Aber es werden auch einfache Gerichte angekündigt. Das erste Menu im Weltall, von Juri Gagarin am 12. April 1961 auf seiner Umlaufbahn eingenommen, bestand aus Fleischpurée und Schokoladensauce in Tuben (Nr. 85). Es dürfte flugabhängig ein Frühstück geworden sein.

Im Übrigen erlebte Napoleon Bonaparte anlässlich seiner beiden Heiraten den Paradigmenwechsel der Servierkultur vom Buffet (à la francaise) zum Auftragen (à la russe). In beiden Fällen aber gelangten ganze koloniale Welten auf die festlichen Tafeln. Davon konnten die Pariser während der Belagerung durch die Deutschen 1870/71 nur träumen. Mangels Nahrung aßen sie alle ihre Zooelefanten auf und verzeichneten in einer Menukarte (Nr. 40) zubereitete Katzen auf einem Bett von Ratten.

Getränke spielten natürlich auch ihre große Rolle in der Musik des Dinierens. Wein, Champagner, Kaffee, Liköre – ihr Spektrum ist so vielfältig wie es ihre Eigennamen sind. Rotkäppchen-Sekt gab es am 2. April 1977 zum Staatsempfang von Fidel Castro (Nr. 90) und Saale-Unstrut-Wein zur Feier des 40. Jahrestages der DDR im Palast der Republik am 7. Oktober 1989 (Nr. 93). Vieles hat sich seitdem verändert, nur die Zuckerbäckerarchitektur hat noch ihre Standorte. Und die vorgenannten Getränke gibt es auch noch. Die Hoflieferanten sind allerdings zu Fernsehköchen mutiert.

Mit der Art zu servieren à la russe, wie sie heute weitgehend zum Dinner gepflegt wird, begann die große Zeit der Menukarte. Die Buchautoren haben dazu gründlich von Berlin bis New York und an anderen Orten in Archiven und Bibliotheken recherchiert. Es hat sich offensichtlich gelohnt! So spürten sie in Dijon eine Karte auf, die am französischen Nationalfeiertag 1945, dem 4. Juli (Nr. 83), die Befreiung aus deutscher Kriegsgefangenschaft feierte. Im Nachtisch wird im Waffeldessert Dachziegelgebäck: Letschin!!!!!! genannt. Dort im Oderbruch hatten wohl die Veranstalter des Dinners zwangsweise in der Ziegelproduktion mitwirken müssen, waren jetzt aber enfin libre.

Das Buch schließt mit Nachwort, Quellen und Register. Ein kleines Geheimnis bekommt die Leserschaft nicht gelüftet. Im Menu Nr. 46 in Kalkutta zum Sieg Sir Roberts im 2. Anglo-Afghanischen Krieg 1880 ist bei den Nachspeisen zu lesen: Russische Offiziere, fein geschnitten. Mehrere Meter alter und zeitgenössischer Lexika und auch das Netz schweigen dazu. (Machorka?) Es darf also noch spannend bleiben nach dem Zuklappen des inhaltlich und gestalterisch so beindruckenden und sympathischen Buches, das Appetit macht.

P. S.: Liebe Frau Kollegin Dr. Heinemann-Meerz! Herzliche Gratulation zum Jubiläum! Wohl bekam´s. Das hofft man von den bisher erlebten Jahren Ihrer Vita. Immerhin gab es darin einen Jahrtausendwechsel und mit der Wende einen spannenden Bruch in der gesellschaftlichen Verfassung, die es neu zu gestalten galt und nach der Sie später die verantwortungsvolle Aufgabe der Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt übernahmen, bis heute. Wohl bekomms! Das sei Ihnen gewünscht für die kommenden Dezennien eines aktiven Lebens in Gesundheit, Schaffenskraft und Freude!

F.T.A. Erle, Magdeburg (August 2020)