Wolfgang Schmidbauer  Die Kunst der Reparatur – Ein Essay (Cover: Verlag)
Cover: Verlag

Ein Essay

oekom verlag München 2020, ISBN 978-3-96238-183-7, Taschenbuch, 190 Seiten, 25 Abbildungen (schwarz/weiß), 20,- €

„Die Reparatur ist ein unterschätzter Teil der Lebenskunst.“ Der das postuliert, ist der Psychoanalytiker und Schriftsteller Dr. Wolfgang Schmidbauer, ein Praktiker und vielschreibender Zeitgenosse. 38 Sachbücher und mehrere Romane und Erzählungen führt er in seiner langen Literaturliste auf. Bereits 1977 prägte er den allseits bekannten Begriff Helfersyndrom.

Die Reparatur eine Kunst? Das Handwerk nur eine Technik? In 16 thematisch gefassten Kapiteln dieses Buches teilt der Autor seine Bindungen an das Thema mit, seine praktischen Erfahrungen und deren psychologischen und theoretischen Hintergründe. Er tut das anhand vieler Selbsterlebnisse. Was ihn besonders umtreibt, ist die reparaturfeindliche industrielle Massenproduktion für den homo consumens, den Verbraucher im wahrsten Sinne des Wortes. Das von den Herstellern eingeplante frühe Veralten der gekauften Artikel und Geräte aus viel Kunststoff, mit ihren unzugänglichen Gehäusen, eingebauten und nicht austauschbaren Stromquellen, Schraubenköpfen mit bizarren Anschlussgeometrien, mit abgewürgter Ersatzteilbereitstellung etc. Diese Entwicklung führe geraden Weges in die Ex-und-hopp-Mentalität der Gesellschaft, die nicht nur die Umwelt sondern auch die Innenwelt lädiere. Sie richte sich gegen das Wesen der Humanität, die Verlässlichkeit von Bindungen, die zu Opfern eines manischen wind of changing werden.

Schmidbauer bedenkt das Thema recht vielgestaltig. Er stellt sich nach seinen Schilderungen eigenhändiger Reparaturen von Fahrrädern in früher Jugend, von weggeworfenen Regenschirmen, am undichten Hausdach mit Verwertung aufgefundenen und zum Abfall gewordenem Materials als begeisterter Reparierer dar. Im Kapitel 3 (Reparieren, therapieren?) stellt er den Bezug zu seinem Brotberuf des Psychoanalytikers her. Höchstes Prestige unter den Reparaturspezialisten am Menschen genießen aber seiner Ansicht nach die Chirurgen. Darüber hinaus räumt er einen hohen Stellenwert der physischen Selbstreparatur ein, die sich zwischen den Polen der Expertenhörigkeit einerseits und der Nachlässigkeit andererseits abspielt. Leben sei ständige Selbstreparatur. Helfende Berufe mit narzisstischen Intentionen sollten sich ihr nicht zu sehr in den Weg stellen. Rost sei die Blume der Zeit, sage man in Japan.

Gewisse manuelle Fertigkeiten habe er sich beim Bewohnbarmachen eines ramponierten Gebäudes als Ferienlokalität in den toskanischen Weinbergen seit 1966 erworben. Er habe das Brauchbare im Unbrauchbaren gesucht, Dachreparaturen mit verrümpelten alten Dachsteinen auszuführen gelernt, sich die Mörteltechniken beim lokalen Maurer abgeschaut und sei zu der Erkenntnis gelangt: Selber machen ist schöner als kaufen. Wenn er dann aber behauptet, dass die selbsterbaute Hütte im Slum klüger sei als das schlüsselfertige Eigenheim, dürfte er die Zustimmungsgrenzen seiner Leserschaft doch erheblich strapazieren.

Die wohl effektivste Form der Klimaschonung sei der Verzicht! Warum einen Pannenschlauch am Rad vollständig auswechseln (lassen), wenn es das Flicken über dem Wassereimer auch täte? Aber die Pädagogik habe die pfahlwurzeltiefe Tradition, praktische Intelligenz und ihre Förderung zu ignorieren. Da schlägt mehr als ein Hauch von Nostalgie und Belehrung durch, womit sicher nicht mehr alle adressierten Altersschichten erreicht werden. Auch Jesus wäre mit dem Auto nach Genezareth gefahren, wenn er eines gehabt hätte, muss sich Schmidbauer von wütenden Kritikern sagen lassen. Schließlich redet er der Lizenz zum Pfuschen das Wort. Die Lüsterklemme wird zur Allzweckwaffe beim Kabelschaden. Nach Ansicht früherer, wenig begüterter Schichten wären es die herumziehenden Flickschuster, Drahtflechter, Kesselflicker, Störschneider etc. gewesen, die schnell, sicher und billig den Defekten vor Ort an den Kragen gegangen seien. Von den Zünften wurden solche Helfer pauschal unter Juden und Zigeunern eingeordnet (s. S. 114!).

Der Attraktivitätsverlust der Wirklichkeit drücke sich in der allgegenwärtigen Bilderflut der Werbung aus. „Dort, wo du nicht bist, ist das Glück“ flüstert diese. Pornografie sei aber weder Sex noch führe sie zur partnerschaftlichen Lust. Weitere Themen sind u. a. Geschlechtsumwandlung, kosmetische Chirurgie und Drogenmissbrauch. Die Konsumgesellschaft sei süchtig nach sich selbst

Gegen Ende des Essays verliert der Autor das Versprechen des Buchtitels etwas aus den Augen und schwenkt immer häufiger in Probleme ökonomischer Entwicklungen unserer Tage ab, nicht ohne dabei auf sein umfangreiches publizistisches Gesamtwerk zu verweisen.
Das Buch ist unterhaltsam, anregend und kann zur Lektüre als Denkanstoß, weniger als praktischer Ratgeber empfohlen werden. Die Qualität der eingestreuten Fotos erlaubt nur bedingt eine Identifikation der zugehörigen Legenden mit den Bildinhalten. Zum Schluss heißt es: „Wann haben wir etwas verstanden? Wenn wir es reparieren können.“ Können, ein ambivalenter Begriff. Daher wahrscheinlich die Kunst im Titel.

F.T.A. Erle
Magdeburg, Juli 2020