Dem am 15.3.1854 in Hansdorf/Westpreußen geborenen Emil Adolf Behring (1. von 9 Kindern aus der 2. Ehe des Vaters) war es vergönnt, mit einem Stipendium des preußischen Staates das Abitur abzulegen und anschließend an der Kaiser-Wilhelm-Akademie für militärärztliche Bildung in Berlin ein Medizinstudium aufzunehmen. Es folgte eine Tätigkeit als Truppenarzt in der Provinz Posen, 1887 eine Delegierung zu dem Pharmakologen Carl Binz (Bonn), wo sich Behring mit der Antisepsis beschäftigte. Ab 1859 war er Assistent an dem Hygiene-Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin.
1890 gelang ihm in Zusammenarbeit mit Shibasaburo Kitasato (1853-1931) die Entdeckung der Blutserumtherapie als passive Immunisierung gegen Diphtherie. Parallel gelang Kitasato dies auch gegen Tetanus: Behring beschrieb zwar das Anti-Toxin, doch erst durch die Zusammenarbeit mit Paul Ehrlich (1854-1915) ab 1892 konnte von diesem die Standardisierung des Serums für die menschliche Anwendung vorgenommen werden. Es folgten erste erfolgreiche Testungen an Kindern (Berlin, Leipzig, Magdeburg) mit eindeutiger Reduktion der Mortalitätszahlen um 50 %. Der Unternehmer August Laubenheimer (Farbwerke Höchst) bot Behring seine Hilfe bei der Produktion und beim Vertrieb an (ab 1893 Di-Serum nach Behring-Ehrlich). Wegen des offensichtlich großen Erfolges erhielt Behring 1893 ohne Habilitation den Professorentitel.
Bei der Zusammenarbeit mit P. Ehrlich hatten sich bereits Schatten der Persönlichkeit Behrings gezeigt, denn es gab ständige Spannungen und Benachteiligungen Ehrlichs an der vereinbarten Gewinnbeteiligung. So konnte Ehrlich 1906 schreiben: „Noch immer steigt ein Gefühl tiefer Bitterkeit in mir auf, wenn ich an diese Zeit denke, nicht wegen des materiellen Verlusts, den ich verwunden habe, sondern wegen der großen Rücksichtslosigkeit, mit der v. Behring die Partie begonnen und durchgeführt hat. Erst durch mich ist er in den Sattel gelangt und seine erste Handlung war ein Fußtritt für den Helfer, dessen Beistand ihm zwar unangenehm aber notwendig war.“ (aus: Fritz Stern: Verspielte Größe, Beck-München 1996, S. 163). Die Verletzungen saßen tief und konnten auch nicht durch die hochtrabenden Worte Behrings am Grab von Ehrlich (1915) relativiert werden, wenn dieser Ehrlich als „magister mundi“ in der medizinischen Wissenschaft und „anima candida“ in seiner Persönlichkeit bezeichnete. Der zunehmende Ruhm Behrings in Verbindung mit seinem anmaßenden Charakter führte auch zu weiteren Spannungen mit Robert Koch und Behring wünschte nunmehr auch eine akademische Karriere. Den Wunsch trug er seinem Gönner, dem allmächtigen Ministerialdirektor und vortragenden Rat am Kultusministerium Friedrich Althoff (1839-1908), vor. Dieser zog Erkundigungen über die Lehrbefähigung Behrings ein, erfuhr aber nur von erfolgreichen militärärztlichen Kursen ohne größere Vorträge.
Durch den Weggang von Friedrich Renk (1850-1928) aus Halle war das 1889 in Halle begründete Hygiene-Institut vakant und Althoff wollte Behring nach Halle delegieren, doch Althoffs ständiger Spezi in Halle, der Psychiater Eduard Hitzig (1838-1907) schrieb in einem Brief vom 10.8.1894 aus Helgoland an Althoff: „… Der Ehrennahme Ihres spiritus rector ist mir leider Hyperbel. Denn wäre ich das, dann hätten Sie uns sicher den C. Fränkel gegeben und damit unserer Fakultät wenigstens an einer Ecke geholfen. Nun werden wir, wie ich fürchte, mit einer zweiten Nummer herauskommen. Behring habe ich, wie Sie wissen, auf Ihren Wunsch und auf Grund seiner wissenschaftlichen Leistungen seinerzeit der Fakultät empfohlen. In letzterer Beziehung halte ich ihn auch für tanti, sonst wurde anläßlich der bei dieser Angelegenheit geführten Pourparlers von zwei Seiten geäußert, er sei etwas ‚meschugge‘ …“
Althoff ernennt Behring im September 1894 zum a. o. Professor und betraut ihn mit der Leitung des halleschen Instituts, zunächst für ein Semester. Behring hatte nun auch mit systematischem Vortrag das Gesamtgebiet der Hygiene zu vermitteln, war aber auch noch sehr durch die mit dem Farbwerk Höchst geplanten Immunisierungsarbeiten „abgelenkt“. So konnte es nicht verwundern, dass der Internist Joseph Freiherr von Mering (1849-1908), Leiter der Medizinischen Poliklinik, an Althoff schrieb: „… Prof. B. ist ein ausgezeichneter Bakteriologe, von dem es mir aber mehr als fraglich erscheint, ob er auf den übrigen Gebieten der Hygiene zu Hause ist. Als Dozent hat B. in Halle nur mäßige Erfolge aufzuweisen, was zum Teil darauf zurückzuführen sein dürfte, dass er bisher noch nie gelesen, … , zum Teil darauf, dass er den Stoff noch nicht völlig beherrscht. … Seine Vorlesung, welche von 20 Studenten belegt, aber nur von 6-8 besucht wird, erfreut sich keines besonderen Beifalls. Nach meiner Ansicht eignet sich Behring vortrefflich dazu, im Laboratorium wissenschaftliche Arbeiten auf seinem Sondergebiet zu leiten und anzuregen …“. Ähnlich äußert sich auch der Pharmakologe Erich Harnack (1852-1915).
Behring schreibt bereits am 17. November 1894 an Althoff: „… Überdies mehren sich die Anzeichen dafür, dass die auf mir ruhende Arbeitslast eine ähnliche Überspannung meiner Kräfte zustande gebracht hat, wie das mehrfach schon in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Meine ärztlichen Berater halten aus diesem Grund eine zeitweilige vollkommene Abstinenz für erforderlich …“. Behring wurde aus gesundheitlichen Gründen beurlaubt und trat bereits vor Weihnachten eine Reise an, welche ihn zunächst nach Frankreich (Paris-Besuch bei Pasteur, Cannes – verließ Monte Carlo mit 800 000 Francs Gewinn), weiter nach Genua, Neapel und Rom führte.
Brieflich drängte er inzwischen Althoff zu neuen Entscheidungen, wobei er unterschwellig Drohungen einfließen ließ (Möglichkeit des Eintritts in russischen Dienst und Verlassen des preußischen Staatsdienstes). Er wollte unbedingt nach Marburg berufen werden.
Behrings Selbstvertrauen hatte sich nach dem halleschen Desaster während des Urlaubs offensichtlich soweit erholt, dass er am 8. Februar 1895 aus Cannes an Althoff schreiben konnte: „… Und wenn man die Lehrprobe in Halle für nicht ausreichend ansehen will, trotzdem dieselbe nur von schlecht unterrichteten Leuten als gegen mein Lehramt beurteilt werden kann, so muss ich auch da mich bescheiden … und ich kenne in Halle mehrere recht urteilsfähige medizinische Professoren, die der Meinung sind, dass ich zur Leitung des hygienischen Instituts berufen, der medizinischen Fakultät wahrscheinlich keine Schande gemacht haben würde … Die Meinung, dass ich dafür „zu gut“ wäre, kann ich als eine ernsthafte nicht ansehen. So urteilslos habe ich doch im Allgemeinen mich nicht gezeigt, dass ich nicht wüsste, was ich will und daß nur Selbsttäuschung der Grund meines Wunsches, eine hygienische Professur zu bekommen, sein könnte. Wenn dies auch vor Antritt meiner Lehrtätigkeit in Halle einen Sinn hatte, so muss, nachdem ich jetzt Zeit gehabt habe, die Sache zu überlegen, dieses Argument wohl definitiv in Wegfall kommen.
… Mein ceterum censeo ist nach alledem, so bald als möglich eine hygienische ordentliche Professur ohne Konkurrenz am gleichen Ort …“ (zit. nach Carl-Ernst Kretschmann; Inaug.-Diss., Halle 1959) und weiter (28.2.95) dass er „… definitiv meine Entlassung erbitten werde“, wenn er nicht nach Marburg käme.
Da die Fakultät in Marburg nicht willig war, wurde Behring durch Ministerentscheid am 8.4.1895 als Extraordinarius und Direktor des Hygienischen Instituts nach Marburg berufen. Die Nachfolge in Halle trat Carl Fränkel (2.5.1861-29.12.1915) an. In Marburg vermied Behring den „Fehler von Halle“, indem er die Vorlesungen seinen Abteilungsleitern Erich Wernicke (1859-1928), später Heinrich Bonhoff (1864-1940) übertrug und sich selbst auf die wissenschaftlichen Forschungsarbeiten (Privatlaboratorium auf dem Schlossberg, Forschungen zur Entwicklung eines Tbk-Impfstoffs und Forschungen zur Milchhygiene) und Geschäfte konzentrierte. Die Tbk-Forschungen führten übrigens zum völligen Bruch mit Robert Koch.
1896 heiratete er mit 42 Jahren die 20-jährige Else Spinola. 1898 wurde das „Institut für experimentelle Therapie“ gegründet. 1901 erfolgte die Erhebung in den erblichen Adelsstand und die Verleihung des 1. Nobelpreises für Medizin. 1904 wurde das „Behringwerk OHG“ in Marburg gegründet. Wegen schwerer Depressionen musste Behring 1907-1910 längere Zeit in das Sanatorium Neuwittelsbach. 1912 nahm Behring seine Forschungen zur Diphtherie wieder auf und es gelang, durch Bindung des Toxins an das Antitoxin ein als „T.A.“ bezeichnetes Präparat 1913 als erstes Diphtherieschutzmittel (aktive Immunisierung) herzustellen.
Dagegen waren die Arbeiten zur Entwicklung eines Tbk-Impfstoffes nicht von Erfolg gekrönt. Auch der Gesundheitszustand Behrings verschlechterte sich nach 1915 wieder und am 31. März 1917 verstarb er an einer Lungenentzündung.
In seinen „Erinnerungen“ schrieb der Internist Paul Morawitz (1879-1936) u. a.: „Dieser Denkweise entsprach es auch, dass v. Behring anscheinend von dem Vielwissen wenig hielt. Wissen an sich schien ihm auf die Produktion eher hemmend als fördernd zu wirken. …Selten sind hervorragende Forscher auch gleichzeitig gute Lehrer. Wenn Liebe und Neigung ganz zu der Forschung gehören und um hohe Ziele ringen, dann erscheint der Unterricht schal und gering. Auch E. v. Behring war nicht zum Lehren für Studenten geschaffen. Wohl besuchten diese sein Kolleg über experimentelle Therapie; aber wohl aus Ehrfurcht vor dem großen Gelehrten als in der Hoffnung, etwas zu lernen. …“ (Lit.: H. Zeiss, R. Bieling: Behring, Gestalt und Werk. Br. Schultz-Verlag, Berlin 1940)
MR Dr. Dieter Schwartze
06193 Petersberg