Wolfgang Büscher

Cover: Verlag

Rowohlt Verlag Berlin 2020, ISBN 978-3-0089-2, gebunden mit Schutzumschlag, 22 x 13 cm (Kleinoktavformat), 204 Seiten, € 22,-

Ein bekannter und erfolgreicher Journalist und Reiseschriftsteller, Wolfgang Büscher, kommt nach Hause, will uns der Buchtitel sagen. Es ist nicht seine Wohnheimat, die er hier beschreibt. Es ist die Heimat seiner Geburt, Kindheit und Jugend, in und an Orten der Provinz.

Diese Rückkehr erstreckt sich über den Zeitraum vom Winterende bis in den vollen Herbst eines Jahres, dessen Datum wie so viele Daten bzw. Namen zur Topographie, zu Leuten, Gönnern, Freunden und Gesprächspartnern, die in seinem Bericht vorkommen, nicht explizit genannt werden. Leser dürften über die Tastatur ihres elektronischen Auskunftsgebers keine Mühe haben, für sich in Grundzügen Klarheit zu schaffen, etwas Vorkenntnisse vorausgesetzt.

Für den in Ich-Form erzählenden Autor ist es mehr eine Einkehr in die Jagdhütte des fürstlichen Forstes an der Grenze zwischen dem protestantischen Hessen und dem katholischen Westfalen. Durch Vermittlung eines Freundes war sie ihm als vorübergehende Wohnstätte genehmigt worden. Fürstlich ist nur der Besitz. Die Aussicht auf eine karge Existenz ohne Wasser, Strom und Heizung aber mit Latrine ist absehbar. Zwei Absichten verfolgt er mit dieser Einkehr in die Eremitage. Da ist wohl an erster Stelle die betagte und zum Sterben nieder liegende Mutter, seit kurzem in der Betreuung einer Einrichtung ganz in der Nähe zu nennen. Sie hatte ihn seinerzeit allein aufgezogen im ererbten kleinen Haus am Ortsrand. Es steht jetzt zum Verkauf fast leer. Noch ein paar Erinnerungsstücke an seine Vergangenheit finden sich dort. Sie stirbt in der Johannisnacht, der Nacht mit dem meisten Licht und der wenigsten Dunkelheit, wie er konstatiert. Heimat gibt es im Physischen nicht, hatte man ihm gesagt. Er akzeptiert es und geht noch für einige Monate zurück in die Hütte im tiefen Wald, gelegen unter hohen Bäumen und an einem einsamen Pilgerweg. Natürlich lernt er dort viele Forstleute kennen, muss auch gelegentlich den Lärm der Holzerntetechnik nach einem Sturm mit vielen niedergelegten Fichten und Buchen ertragen. Sechzig Sekunden – und ein fünfzigjähriger Riese liegt in containergerechten Maßlängen am Boden bzw. in hohen Stapeln am Wegesrand. Förster meiden den Wald bei aufziehendem Sturm wegen der lebensgefährlichen Unberechenbarkeit der Baumstürze. Büscher erlebt so etwas gezwungenermaßen mit.

Man ist geneigt, die Kapitel wegen ihrer interessanten Inhalte zu schnell zu lesen und läuft dabei Gefahr, über dieses oder jenes schöne Detail hinweg zu rennen. Die Nachsuche gestaltet sich etwas schwierig, denn Sachregister oder ein Inhaltsverzeichnis gibt es in diesem Buch nicht. Man muss blättern. Die knapp gehaltenen Überschriften der sechsundzwanzig Kapitel stehen wie Vignetten über den kurzen, nüchtern und doch auch oft poetisch formulierten Texten mit umwerfenden Vergleichen. Da wird der Nebel ein alter Magier genannt, die Buche bietet die Ansicht einer Elefantenhaut, der Frost schlurft noch über den gefrorenen Acker, wenn anderenorts schon die Mandeln blühen, der Pickup des Förstern wird zum Panzer und der Harvester zum stählernen Saurier. Der Gast in der Hütte lässt keine falsche Waldromantik aufkommen. Er lässt sich voll und ganz auch auf die biologischen und ökonomischen Bedingungen des Waldes oder Forstes, je nach Sicht, ein. Er leidet unter dem Anblick der in Flächen sterbenden Bäume nach der anhaltenden Trockenheit. Er weiß um die Fehler der Vergangenheit mit dem Hang zur Holzplantage. Das künstlerisch gestaltete Bild auf den Buchcover ist stellenweise nur noch eine Erinnerung an den ehemals selbstverständlichen dichten Bewuchs. Er kämpft mit gegen den Käfer, wenn auch ohne jeden Erfolg. Fürst und Förster wollen den Umbau des Waldes für die nächsten Generationen. Es wird nicht mehr der besungene deutsche Wald sein. Zuwanderer könnten helfen. Die kalifornische Douglasie klopft schon an.

Wolfgang Büscher schildert eindrucksvoll sein ärmliches aber ausgefülltes Dasein, im Zentrum die Hütte. Er schöpft aus dem großen Reichtum der Stille mit ihren Geräuschen, aus Begegnungen, Gesprächen, Beobachtungen des Wildes. Der zuständige, fürstlich beamtete Förster, sein nächster Nachbar, zu dessen Haus am Waldrand er nur eine Stunde Fußweg hat, wird ein Freund. Die sog. Waldeslust aus dem Volkslied empfindet er als Veralberung, sowohl des Waldes als auch der Lust. Das Buch eignet sich gut für die Lektüre in dieser Jahreszeit mit der Floskel der oft gewünschten Besinnlichkeit. Es bietet die Substanz zu deren Verwirklichung.

F.T.A. Erle, Magdeburg