Cover: VerlagSuhrkamp Verlag Berlin 2021, ISBN 978-3-518-43004-0, aus dem Englischen von Ulrike Bischoff, gebunden mit Schutzumschlag, 239 Seiten, 31 Abbildungen, 25,00 €

In diesem Buch geht es im Grunde um Menschen, die Probleme zu lösen versuchen, die Menschen beim Versuch, Probleme zu lösen, geschaffen haben. So charakterisiert die amerikanische Wissenschaftsjournalistin und Pulitzer-Preisträgerin den Inhalt ihrer neuesten Publikation. Sie geht an die anspruchsvolle Problematik der Korrekturversuche von Lebensgrundlagen des Menschen mit einem hohen Maß an wissenschaftlicher Neugier heran.

Elizabeth Kolbert teilt den Stoff, der aus gesammelten persönlichen Berichten zu themenrelevanten Projekten zu Wasser, zu Lande und in/aus der Luft besteht, und strukturiert diese in acht unbenannte Kapitel, für die die Leser bald eine passende Formulierung nach dem Inhalt finden werden.

Im Report zum ersten Kapitel begibt sie sich mit Spezialisten in einem Boot auf die für Chicago wichtigen Wasserläufe, Flüsse oder Kanäle, vorbei an Bergen von Streusalz, Schrott, rostenden Containern und an Auslassröhren eines gigantischen Klärwerks. Um mit dem Problem der städtischen Abwässer der Riesenstadt Chicago fertig zu werden, wurde mittels eines vor mehr als hundert Jahren gegrabenen Kanals die Fließrichtung des Chicago-River geradezu umgekehrt, was eine drastische Änderung im Wasserhaushalt von ca. zwei Dritteln der USA nach sich zog. So gelangten u. a. ausgerissene „Weißfische“ (benutzte Kondome) nicht mehr in das Trinkwasserreservoir Chicagos, den Michigansee, sondern über den Mississippi in den Golf von Mexico. Ein späteres Projekt der Ansiedlung asiatischer Karpfen zum Wegfressen der ungebremst wachsenden und hinderlichen Wasserflora durch zu hohen Eintrag von Nährstoffen schlug letztlich auch fehl. Die Fische bevorzugten eine andere Nahrung und schufen Defekte in der angestammten Fauna. Damit sie sich nicht weiter ausbreiteten, wurden ihnen elektrische Sperren mit Stromschlägen im fließenden Wasser entgegengesetzt („Wer hört die Fische, wenn sie schreien?“).

Die Hochwasserfluten von der gefährdeten Stadt New Orleans durch pharaonenhafte Großbauten fernzuhalten – ein weiterer Versuch, den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Es gab keine Deichbrüche mehr, Geschiebe und Sedimente gelangten direkt in den Golf und nicht mehr auf den Boden der umliegenden Sümpfe, was eine Niveauabsenkung derselben verhindert hätte. New Orleans wird wieder eine Insel werden. Der sorgfältige Rückbau seiner tief liegenden Areale und Stelzenbautechnik sind ins Auge zu fassen.

Und so surft die Reporterin E.K. durch dieses weite ökologische Themenreich mit eindrucksvollen Abstechern in die realen Versuche der modernen Wissenschaften, sich abzeichnende oder eingetretene Umwelt- und Naturkatastrophen aufzuhalten – oder eben zu wandeln. Sie erzählt unglaubliche Geschichten, wie z. B. die der Touristenattraktion der Atompilze in Nevadas Wüste 1952, die der allesfressenden giftigen, langlebigen, riesenhaften und sich ungebremst vermehrenden Aga-Kröten, die der Wettermanipulation der Amerikaner im Vietnamkrieg und die des sowjetischen Traums vom schnellen Abschmelzen der arktischen Eiskappen zur Erlangung angenehmer milder Winter. Die Spurensucherin ist von Australien bis Grönland gereist, in welch letzterem nach ihrer Einschätzung noch ausreichend Eis für eine Sintflut lagert. Die Lösungsvorschläge, Symptombehandlungen ohne Ursachenbeseitigung, verursachen immense Kosten. Nur, ein Nichtstun würde absehbar noch teurer werden. Das trifft u. a. auch auf das sog. Solarengineering zu, der Erderwärmung durch Einbringen wärmereflektierender Sperrschichten in die Stratosphäre, z. B. mittels Diamantenstaub, mit Fliegern Einhalt zu gebieten. Das wiederum würde ständige Flüge mit nicht unerheblicher CO2-Emission und neuerlichem Wärmeanstieg zur Folge haben. Allerdings würden auch herrliche Sonnenuntergänge und ein weißes Firmament das Auge des Betrachters erfreuen. „Under a White Sky“ lautet der Titel der amerikanischen Ausgabe.

Hat der Mensch das Recht, so etwas zu tun? E.K. legt mit dieser Monographie eine kenntnis- und faktenreiche Sammlung zum Thema Klimawandel aus aktueller Sicht vor. Man findet sich in der Systematik des Inhalts mitunter etwas schwer zurecht, da weder ein differenziertes Inhaltsverzeichnis noch ein Sachwortregister vorhanden sind. Das Buch bietet viel Stoff für neues Wissen und Staunen mit der Erkenntnis, dass wir längst in einer durchgehend von uns veränderten Welt, Natur mag man fast nicht mehr sagen, leben. Der Tod des Great Barrier Reefs wird auch Auswirkungen auf unser Klima hier in Europa haben. Es ist kein australisches sondern ein globales Ereignis.

Das „wir“ im Titel weist auf eine dezent durchscheinende Selbstironie der Autorin hin, die das Lesen des mitunter etwas sperrigen Textes erleichtert. Wir versuchen zu wandeln, was schon einmal gewandelt worden ist. Wir befinden uns im Zeitalter des selbstgemachten Anthropozäns, unserer Natur in der anstehenden Zukunft.

F.T.A. Erle, Magdeburg (September 2021)