
Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert – Die Folgen der Identitätspolitik
Heyne Verlag München 2021, ISBN 978-3-453-60610-4, Taschenbuch, 224 Seiten, € 16,-
Das Umschlagbild im farbenfrohen Schwarz-Rot-Gold wirft Fragen auf. „Vermintes Gelände?“ Da würde man doch gleich auch ein „Lebensgefahr! Betreten verboten!“ erwarten. Gar nicht erst mit dem Lesen anfangen? Ein schlechter Rat für den neugierigen Leser, ein besserer für den Gendermuffel und den Sprachbehüter!
Die Autoren, das Ehepaar Petra Gerster, Journalistin und ehemalige Moderatorin beim ZDF, und Christian Nürnberger, Publizist, legen einen mit achtundzwanzig Kapiteln recht umfangreichen Diskurs über einige brisante Themen zur zwischenmenschlichen Kommunikation, Geschlechtergerechtigkeit und gegenseitigen Wertschätzung vor, deren kontroverse Behandlung noch vor kurzer Zeit und z. T. bis in unsere Tage in einer Art Kriegszustand endeten, zumindest aber in krachenden Missverständnissen mit bleibenden Blessuren. Kaum eine TV-Runde, eine gezielte Anfrage in den Foren oder ein Feuilleton, aus denen sich bei einigermaßen Mühe nicht ein giftiger Wortwechsel oder ein zänkisches Duell machen ließe.
Vornehmlich geht es in diesem Buch um das Gendern. Es scheint zur Schwerstarbeit für einen großen Teil der Gesellschaft, wie groß weiß niemand so genau, geworden zu sein. Für die Abwehr gegnerischer Argumente wird wortreich gestritten, höfliche Gegenrede als Ausdruck freundlichen Nachdenkens tritt in den Hintergrund. Über allem schwebt hie und da ein kleines Sternchen, das Gendersternchen, störend sichtbar oder gern gesehen als Asterisk bzw. akustisch geformt als eine Art Kiekserlücke im Redefluss, korrekt als glottales Plosiv bezeichnet, eine seit langem genutzte Artikulationshilfe, auch in der tradierten deutschen Aussprache.
Die Schreiber möchten Brücken bauen über Schützengräben auf dem Schlachtfeld namens „Alle Menschen sind gleich“! Sie möchten etwas beitragen zur Aufklärung im Umwälzungsprozess unserer fließend sich entwickelnden Sprache, stellen Vertrautes in Frage. Darf man heute noch Zigeunersauce sagen oder in eine Mohrenstraße adressieren? Ist das denn schon wieder oder immer noch Rassismus, den wir doch in Deutschland in scheinbar schmerzlichem Lernprozess hinter uns gelassen zu haben glaubten?
Es gibt sie, die echten Deutschen, die Bio-, die Pass-Deutschen, mitunter auch kurz Kartoffeln genannt. Sie müssen sich nicht fragen lassen, wo sie herkommen wie die vielen Zugereisten. Man sollte aber doch lieber das N- und das Z-Wort aus dem persönlichen Wortschatz streichen. Man braucht sie nicht wirklich. Denn das Zusammenwirken von Wort und Wirklichkeit ist unmittelbar, kommt immer an die Oberfläche, irgendwann. Und dann wäre es doch logisch, wenn ein MemiMi (Mensch mit Migrationshintergrund) bei seinem deutschen Gegenüber einen Nazi-Hintergrund vermutete, in welcher zurückliegenden Generation auch immer.
Es gibt mehr als zwei Hautfarben, zwei Geschlechter, zwei kulturelle Wurzeln etc. Schwarze werden korrekt Schwarze genannt. Andere wiederum sind nicht schwarz und nicht weiß, farbig eigentlich auch nicht, werden aber so geheißen und wollen es doch nicht. Deshalb bedecken sie sich mit Akronymen, z. B. BIPoC für Black Indigen People of Color. Wenn das nicht genehm ist, greift man zu SOJARIME (Schwarz, Osteuropäisch, Jüdisch, Asiatisch, Roma und Sinti, Indigen, Muslimisch und andere Ethnie). Sieht aus und fühlt sich an wie Schreddergut.
Und dann die Sache mit den Geschlechtern, den binären und den non-binären. An einer Stelle des Buches wird von der Wahl zwischen sechzig verschiedenen Geschlechtern gesprochen, wohl ein Ausfluss unfertiger Definitionen und fließender Abgrenzungen, die dem ständigen sprachlichen Wandel nicht folgen konnten. Dafür stünde dann die Letternschlange LGBTQIA (lesbisch, schwul/gay, bisexuell, transsexuell/transgender, queer, intersexuell, asexuell) als „Kurzform“ zur Verfügung.
Es ist ein Buch, das stark geprägt ist vom Kampf gegen Benachteiligung der Menschen, die sich außerhalb der westlichen und der männlichen Wertegemeinschaft wiederfinden. Damen und Herren gibt es inzwischen in der Anrede bei der Lufthansa nicht mehr, ohne einen Shitstorm der Non-Binären zu riskieren. Dann doch lieber eine neue Wortwahl mit Gender-Stolpersternchen? Selbst der gute alte Duden, gerade eben noch von der Dudin verschont, pflegt auftragsgemäß die deutsche Sprache nicht, sondern dokumentiert nur mitlaufend ihre Veränderungen im Entwicklungsprozess. Da fängt doch für den Sprachfreund der Boden unter den Füßen an zu wanken.
Wenn man als alter weißer Mann in der Gedankenwelt der Minensucher langsam heimisch geworden ist, könnte die Lektüre dieses sehr inhaltsreichen Büchleins eine Bereicherung des eigenen Wortschatzes in Schrift und Sprache darstellen. Das generische Maskulinum jedoch steht unverkennbar auf tönernen Füßen. Die Jungen werden es bald nicht mehr brauchen, so die Autoren, den Konjunktiv auch nicht. Man sollte offen und frei von Panik an den interessanten, auch provozierenden, mitunter ziemlich polemisierenden Lesestoff herangehen. Irgendwie lohnt es sich ja immer, Neuland vorsichtig zu betreten, Entwicklungen bewusst zu verfolgen. Keine Angst vor Minen? Man muss ja nicht alles anpacken wollen. Es darf hie und da bei der Lektüre gelacht werden, aus welcher Intention auch immer. Das Nachlesen resp. Rekapitulieren bestimmter Begriffe macht Mühe. Ein Sachregister wäre hilfreich gewesen zur Orientierung im verminten Gelände.
F.T.A. Erle, Magdeburg (Dezember 2021)