Herausgegeben von Myriam Halberstam
Eine Anthologie
Ariella Verlag, 3. Auflage Berlin 2021, ISBN 978-3-945530-29-0
Hardcover 24,5 x 20,5 cm, reich illustriert, 93 Seiten, 18,- €
Bei flüchtigem Hinsehen könnte man es für ein Kinderbuch halten, wegen der zwar ausgewählten aber doch auch auffälligen Pinkfarbigkeit des Covers, der bunten Figuren darauf und des Formates halber.
Die Herausgeberin hat da schon eine bemerkenswerte Projektgemeinschaft von Cartoonisten und Schreibern unter dem Buchdeckel versammelt, wortgewandte und bildmächtige Vertreter eines sarkastischen jüdischen Humors. Eine Auflistung und kurze Würdigung der Herkünfte und Werdegänge der Kreativen findet man am Ende des Buches. Es sind überwiegend Deutsche aus Franken, Westfalen, Berlin, Holstein, Schwaben, Hamburg, Köln, aber auch Franzosen, Briten und New Yorker. Sie stammen aus Kiew, Moskau und dem Breisgau – die reinste Weltverschwörung! 63 Bildgeschichten sind es von 25 Künstlerinnen und Künstlern, daneben 17 kurze Texte von Schreibkundigen, davon dreimal in unpoetischer Versform.
Wladimir Kaminer gehört z. B. dazu. Er erzählt Erlebnisse zu seiner jüdischen Identität aus der Sicht nichtjüdischer Mitmenschen. Musste er doch als Halbwüchsiger vor versammelter Klasse in Moskau auf der Jungentoilette der Schule offen beweisen, dass er trotz Beschneidung noch sein gutes Stück besaß, lediglich eine Kleinigkeit war zu Verlust gegangen. Seine Mutter musste als Kind bei Ankunft im usbekischen Exil die Mütze abnehmen. Die Enttäuschung für die Bedränger war groß. Man hatte angenommen, dass Juden Hörner wachsen.
Eine gewisse thematische Ordnung der Bildstrecken ergibt sich aus ihrer Reihenfolge. Es sind die Klischees, Vorurteile und nachgesagten teuflischen Verhaltensweisen der Juden, die den Antisemitismus nähren, die Bretter vor dem Kopf.
Der Sex kommt nicht zu kurz in den Karikaturen, ebenso der giftige Dialog. Daher ist es wohl doch kein Kinderbuch. Lobt am Bistrotisch die reife Dame den ihr gegenüberstehenden jungen Mann: Für einen Juden sprechen Sie aber gut deutsch. Antwortet dieser schlagfertig: Und das, obwohl ich in Bayern aufgewachsen bin. Ein Doppelschlag! Feiner jüdischer Humor ist halt nicht der plumpe Judenwitz.
Darf man einen Juden eigentlich unbeschadet einen Juden nennen? Man darf, allerdings nur in ehrlicher Absicht bzw. seriöser Motivation. Du Jude! – das wäre wohl schon völlig daneben. Das Buch bringt mehr herüber als es offen zeigt. Es ist eine Freude, darin herumzublättern bzw. kurz zu lesen. Seine farbigen und schwarz-weißen kleinen Gemälde, sein Layout und seine Materialqualität sind vom Feinsten. Es nicht haben wollen, grenzt an Antisemitismus. Sehr zum Genuss zu empfehlen!
F.T.A. Erle
Magdeburg (März 2022)
Cover: Verlag