
Erinnerung zum 150. Geburtstag
Im Alter von 46 Jahren übernahm Franz Volhard am 1. Oktober 1918 die Direktion der Medizinischen Universitätsklinik Halle. Die Stadt Halle war dem am 2. Mai 1872 in München als 4. Kind des Chemikers Jakob Volhard Geborenen nicht unbekannt, denn 1882 war der Vater als Ordinarius für Chemie nach Halle berufen worden. Sohn Franz besuchte zunächst mit unbefriedigendem Erfolg die Latina in Halle, verbesserte seine Leistung auf der Landesschule Schulpforta (Abitur 1892), studierte Medizin in Bonn (Physikum), zwei Semester in Straßburg und abschließend in Halle. 1897 legte er das Staatsexamen ab und wurde am 29.3.1897 mit der Arbeit „Experimentelle und kritische Studien zur Pathogenese der Eklampsie“ zum „Dr. med.“ promoviert (Gutachten von Hermann Fehling vom 1.3. und Joseph Freiherr von Mehring vom 8.3.1897 – Dekanatsakten 1897, 215).
Die berufliche Entwicklung erfolgte nach obligater Militärzeit zunächst bei David Hansemann (1849–1908) am Krankenhaus Berlin-Friedrichshain (pathologische Anatomie), 1898–1905 bei dem Internisten Franz Riegel (1843–1904) in Gießen. 1901 konnte sich Volhard mit der Arbeit „Ueber das fettspaltende Ferment des Magens“ habilitieren (Lipase). Vom 01.01.1905 bis 1908 war er Chefarzt am Städtischen Krankenhaus Dortmund und anschließend über 10 Jahre Direktor der Krankenanstalten Mannheim. Während der aufgeführten Zeitabschnitte hatte Volhard sich mit Venenpulsschreibung (1902), quantitativer Pepsinbestimmung (1903), Leberpulsation und Herzrhythmusstörungen (1904), alternierenden Pulsphänomenen (1905) und im gleichen Jahr erstmals mit den Beziehungen von Nierenkrankheiten und Hypertonie beschäftigt. Dieses Thema wird ihn weiter lebenslänglich begleiten. 1909 beschrieb er gemeinsam mit Theodor Fahr den Wasser- und Konzentrationsversuch, 1910 eine Klassifizierung von Schrumpfnieren unter funktionalen Gesichtspunkten. 1916 stellte er auf dem Internistenkongress in Warschau die Hunger- und Dursttherapie vor, welche in den Folgejahren vielen Menschen mit akuter diffuser Glomerulonephritis das Leben retten sollte. Noch 1947 wird Max Ratschow seinen Interzonenpass zur Reise nach Frankfurt/M. (75. Geburtstag von Franz Volhard) von Frau Oberstleutnant Serkowa bekommen, weil ihr der Name Volhard als „Lebensretter von Scharen wassersüchtiger Soldaten“ wohl bekannt ist. 1904 erschien das Buch „Die Brightsche Krankheit. Klinik, Pathologie und Atlas“ (mit Th. Fahr, 1877–1945) und 1917 in 1. Auflage der Beitrag im Handbuch der Inneren Medizin „Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen (Brightsche Krankheit)“, später (1932) mit 2000 Seiten die „Nierenbibel“. Der Beginn dieser Mammutarbeit fällt in die hallesche Zeit.
Volhard war also 1918 schon eine anerkannte wissenschaftliche Persönlichkeit, als ihn im Sommer 1918 Gustav von Bergmann aus Marburg anrief, um ihm mitzuteilen, dass vom Ministerium eine Berufung auf den Lehrstuhl in Halle beschlossen sei. Das war überraschend, denn die hallesche Fakultät hatte zuvor dem Ministerium mitgeteilt (Blatt 46):
„... Es soll aber nicht verschwiegen sein, dass sein zu Konflikten leicht Anlass gebendes Temperament eine beträchtliche Minderheit der Fakultät verhinderte, ihm ihre Stimme zu geben“. So war Volhard auf der halleschen Vorschlagsliste vom 07.05.1918 (Dekanatsakte 1918, Bd. 272) nur nach von Bergmann an zweiter Stelle mit Rolly (Leipzig) nominiert worden. Aber es war ja eine gewisse hallesche Tradition, zunächst alle vom Ministerium favorisierten Kandidaten abzulehnen. Das hat sich auch nach Volhard mit der Berufung von Theodor Brugsch fortgesetzt. Nun also trat Volhard doch das Amt an und stellte sich dem Senat mit den Worten vor: „… dass ich in meiner Berufung eine Anerkennung meiner wissenschaftlichen Forschung sähe, als ich Halle ja doch als meine Vaterstadt anzusehen habe, und ich eigentlich jetzt meine Lehrer zu meinen Kollegen rechnen dürfe, beides Umstände, welche die Anerkennung wohl nicht erleichtert hätten. Andererseits sei für mich der Gedanke sehr verlockend, in dem Lehrkörper der Universität aufgenommen zu werden, in dem mein geliebter Vater 25 Jahre gelehrt hat ...“.
Volhard übernahm die Hauptvorlesung und den Perkussionskurs und eine Klinik mit völlig unzureichender Personalausstattung. Er hatte 1919 nur vier Assistenten und einen Oberarzt für 7 Abteilungen zu Verfügung. Seine Privatinitiativen waren notwendig: 1921 „importierte“ er eine Krankengymnastin aus Mannheim und bezahlte sie privat mit 300 Mark monatlich. Auch der Umbau der Röntgenabteilung wird von Volhard finanziell vorgestreckt. Sein Geld aus Berlin erhält er nach zwei Jahren. Er strukturiert auch die Labormedizin der Klink um (kleine Stationslaboratorien für mikrobiologische und chemische Routineuntersuchungen neben dem Zentrallabor).
Obwohl das knappe Jahrzehnt seines halleschen Wirkens in seiner Biografie nur wie eine Episode erscheint, ist die wissenschaftliche Essenz bedeutsam. Von den insgesamt 118 Dissertationen der Zeit von Gießen über Halle und Frankfurt/M. werden in Halle 53 (44 %) verfasst und die Herren Walter Hülse (1887–1958; 1922), Erwin Becher (1890–1947; 1925), Adolf Hartwich (1889–1981; 1926) sowie Fritz Koch (1889–?; 1927) habilitierten sich in Halle. Hinsichtlich der Bibliografie von Volhard sind fünf Bücher bzw. Buchbeiträge und 30 Zeitschriftenbeiträge für diese Zeitspanne nachzuweisen.
In Halle fahnden Walter Hülse und Adolf Hartwich nach vasoaktiven Stoffen renalen Ursprungs. Volhard folgerte aus den Versuchen dieser Mitarbeiter, dass es im Blut von Nephritikern eine auf Adrenalin sensibilisierende Substanz gibt. Die Bestätigung erfolgte durch die Drosselungsversuche Hartwichs, später von Goldblatt mit subtiler Technik. E. Becher habilitierte über die Retention harnpflichtiger Substanzen und führte die Xanthoproteinprobe ein.
Medizinhistorisch ist auch die von Volhard inaugurierte chirurgische Therapie des „Panzerherzens“ (Concretio pericardii) bedeutsam. Schon seit der Arbeit bei Hansemann in Berlin-Friedrichshain dachte Volhard über die chirurgische Behandlung der Concretio pericardii nach. Bereits in Dortmund (Prof. Henle) und Mannheim (Prof. Heuck) wurden vergebliche Versuche unternommen. Beide Operationen missglückten wegen Perforation der rechten Herzkammer. Volhard folgerte, dass der Operateur den Eingriff am linken, muskelstärkeren Ventrikel beginnen muss. 1923 konnten dann Volhard und der Chirurg Victor Schmieden (1874–1945) auf einer gemeinsamen Sitzung der Internisten und Chirurgen in Leipzig über „Erkennung und Behandlung der Umklammerung des Herzens durch schwielige Perikarditis“ referieren. Das Operationsverfahren wurde zu einem Standardverfahren. Nach Volhard hat allein Schmieden 40 Patienten operiert. Mit dem chirurgischen Nachfolger von Schmieden, Friedrich Voelcker (1872–1955) wurde bei akuter Glomerulonephritis versucht, durch Nierendekapsulation eine Besserung zu erreichen. Der Effekt war nicht zufriedenstellend.
Mit dem Ophthalmologen Franz Schieck (1871–1946) wurde über Zusammenhänge von „Netzhautveränderungen und Nierenleiden“ (Zbl. ges. Ophthalm. u. Grenzgebiete Bd. 5; 1921) gearbeitet. In diesem Vortrag erklärte Volhard noch, „allen Hochdruckformen liege ein allgemeiner, renal bedingter Gefäßkrampf zugrunde“.
Das Jahr 1923 wird insofern bedeutsam, als dass Volhard eine neue Hochdrucktheorie auf dem Internistenkongress in Wien vorstellt. Er unterscheidet nun einen „roten“ und einen „blassen“ Hochdruck und nach seiner Vorstellung steht jeder Dauerhochdruck in „enger Beziehung zur Niere“, entweder Ursache oder Folge einer Nierenkrankheit (n. Konschwitz). Bei dem blassen Hochdruck sind die peripheren Gefäße (einschließlich Fundus) eng, das Herz klein und die Nieren blass. Volhard vermutet eine „chemisch bedingte“ Sensibilisierung des Gefäßsystems für vasokonstriktorische Reize. Beim „roten“ Hochdruck (primärer Hochdruck) sollen keine „gefäßkrampffördernde“ Stoffe beteiligt sein. Das Herz ist groß und die Nieren haben eine rote Farbe. Der Mensch „wirkt vollsaftig, blühend und gesund“. 1924 vermutet Volhard einen nervalen Mechanismus für diese Hochdruckform. Die zahlreichen Arbeiten seiner Mitarbeiter (u. a. Erwin Becher; Robert E. Mark, 1898–1981) können an dieser Stelle nicht referiert werden. Aber auf einen Schwerpunkt der Ausbildung des akademischen Nachwuchses muss hingewiesen werden. Volhard hielt auch den Perkussions- und Auskultationskurs ab und trainierte sein Umfeld in diesen grundsätzlichen Untersuchungstechniken, besonders auch der Palpation: „Beinahe wurde auch das Hörrohr überflüssig, wenn man von ihm gelernt hatte, die eigenen Wellen des Venenpulses durch den Blick von denen der Arterie mit Sicherheit zu unterscheiden, wenn die Hand die Leberpulsation, Lage und Ausdehnung des Spitzenstoßes sicher beurteilen, wenn die aufgelegten Finger die Lokalisation des Schwirrens an der Aorta und an der Mitralis sauber zu trennen wusste …“ (L. R. Grote, 1947). Über die Differentialdiagnose der Herzfehler hielt Volhard mehrfach Vorträge. Auch mit dem Lungenemphysem hat sich Volhard beschäftigt.
Die Persönlichkeit Franz Volhard war ein in dieser Erscheinung wohl nie übertroffenes bzw. erreichtes Unikat. Er redete jedermann mit „Du“ an (außer Reichsminister Hess) und radelte in Halle unverdrossen auf dem Bürgersteig, bis es die Polizei aufgab, ihm unzählige Strafzettel zuzustellen. In der medizinischen Fakultät hat er „immer die Tendenz gehabt, die Fakultät im Ganzen und die einzelnen Mitglieder zu vergewaltigen“ (zitiert nach W. Kaiser). Das Provinzielle war dem wissenschaftlich hochangesehenen Mann (1924 Mitglied der Leopoldina, Matrikel 3509) wohl Anlass, die Berufung nach Frankfurt/M. als Nachfolger Gustav von Bergmanns 1927 anzunehmen. Dort entfaltete er bis zu seiner Entlassung 1938 und nach Wiederberufung 1945 noch weitere fruchtbare Tätigkeit bis zu seinem Autounfall mit Todesfolge (24.05.1950).
Die Medizinische Fakultät Halle ehrte Volhard 1947 mit einer durch Rudolf Cobet gehaltenen Ehrenvorlesung und Aufstellung einer von Margarete Budde-Goldschmidt geschaffenen Büste in der I. Medizinischen Klinik. Volhard selbst besuchte auf Einladung seine frühere Jugend- und Wirkungsstätte und hielt am 30. Juli 1947 eine Gastvorlesung.
MR Dr. Dieter Schwartze
06193 Petersberg
Foto: Reproduktion aus dem Universitätsarchiv MLU Halle-Wittenberg