Daniel Schreiber

Carl Hanser Verlag München 2021 (Berlin 2022), ISBN 978-3-446-26792-3
gebunden mit Schutzumschlag, Oktavformat, 160 Seiten, 20,- €

Nach dem äußeren Anschein kommt das kleine Buch fröhlich daher mit seiner betont farbigen Hülle. Und dann aber der fast klagende Titel Allein für dieses literarische Essay in acht Kapiteln, eines lesenswerter als das andere!

Daniel Schreiber, geb. 1977, stammt aus einer großen Familie auf dem Lande in Nordostdeutschland. Er kennt also das traditionelle Zusammenleben. Heute ist er Literaturwissenschaftler nach längerem Studium in New York. Er hat auch Theater und Performance studiert, war nach der Rückkehr nach Deutschland in der Journalistik tätig und freier Autor. Er ist, besieht man sich seine bisherigen Publikationen, ein erfolgreicher Schriftsteller mit Tiefgang und philosophischen Ambitionen, hat einen festen Wohnsitz in Berlin.

Daniel Schreiber bekennt sich in aller Selbstverständlichkeit zu seinen schwulen Partnerschaften und Freundschaften und deren Freuden und Leiden. Er lebt zunehmend allein, nie aber ohne Freundschaften, gelegentlich mit kurzen Liebschaften. Eine seiner ausgesprochenen Liebhabereien ist das Gärtnern bzw die Ausstattung seiner Wohnung mit blühenden, grünen oder auch früchtetragenden Pflanzen. Schöne Gärten gehören zu seiner Passion; er sucht sie auf in Potsdam, Paris, London und an entlegensten Orten.
Allein – das kann zu großen Teilen auch einsam bedeuten. Immer mehr Menschen in der westlichen Zivilisation, die Wert auf ein selbstbestimmtes Leben gelegt hatten, geraten in die Einsamkeit, wenn ihnen nicht noch die letzte große Erzählung des Überlebens, die romantische Liebe, zufliegt. Sie ist ja ein wesentlicher Bestandteil des Glücks. Fehlt eine solche Liebesbeziehung, wird das als Scheitern eingestuft. Freunde bewahren davor. Beziehungen zu Freunden halten länger als Partnerschaften, behauptet er. Sie beruhen auf Freiheit und stützen sich auf Freiwilligkeit. Aber auch ohne Liebesbeziehung kann sich ein Leben als erfüllt anfühlen, oft jedoch mit Leerstellen und einem Rest an Sehnsucht. Es bleibt dann das Gefühl, mit dem Alleinsein allein zu sein.

Dieses Buch des Daniel Schreiber ist eins über sich selbst, von Anfang bis Ende. Er beschreibt darin eingehend sein Inneres, seine Widersprüche, Schwierigkeiten und Ambivalenzen. In viele seiner Gedankengänge wird ihm so mancher Leser, manche Leserin gut folgen können, z. B. wenn er als Single die erste öffentliche Weihnachtsbeleuchtung als psychisches Dynamit empfindet, ein Gefühl, sich durch fremde Welten zu bewegen, ein stillschweigendes Dekret der Bedeutungslosigkeit zu erfahren. Der Schreibtisch kann die sich ankündigende Depression nicht verhindern. Draußen wandern ist da schon hilfreicher. Virginia Woolf war nicht nur eine exzellente Romanautorin, sondern auch eine gleichermaßen begabte Wanderin. Depressionen hatte sie trotzdem. Es ist ein Vorsichweglaufen, macht aber den Kopf frei. Nach der Rückkehr von solch einer längeren Auszeit in den Bergen wird ihm in Berlin das Ausmaß der Covid-Pandemie bewusst. Die Freuden der freundschaftlichen Kontakte werden erheblich durch die verordneten Abwehrmaßnahmen eingeschränkt. Grundvoraussetzung für ein einigermaßen erträgliches Überstehen solcher Einsamkeit sind dann die Selbstfreundschaft und eine Selbstliebe. Freundschaft bleibt aber die beste Überwindungsstrategie. Sie gehört zur Eudämonia, zum glücklichen Leben auf Gegenseitigkeit. Sie ist nach seinem Verständnis nicht der seit der Antike vorausgesetzte Ausdruck von Wohlhabenheit, Heterosexualität und weißer männlicher Haut, dem Phallogozentrismus. Schon 250 Jahre vor Aristoteles Beiträgen zur Freundschaft gab es eine Sappho auf Lesbos und 400 Jahre vor Montaigne schrieb Hildegard von Bingen über tiefe Frauenfreundschaften, gab es die Beginenorden selbstständiger Städterinnen.

Stricken bezeichnet und praktiziert der Autor als perfekten Zeitvertreib im Alleinsein. Ganze Familien versorgt er mit wärmenden und zierenden Wollkunstwerken. Die Tätigkeit erlaubt auch, Strickstücke des Lebens aufzuribbeln und etwas Neues daraus zu machen.

Man hat es hier mit einem versierten Schreiber (nomen est omen) und profunden Literaturkenntnissen zu tun. Zu beachten sind z. B. die mehr als zweihundert Anmerkungen und Quellenangaben des Anhanges, die Daniel Schreiber in den fließenden Text zu den Sachthemen eingestrickt hat, und das in außerordentlicher sprachlicher Vollendung. Erkennbar bleibt aber immer seine ständige Sicht auf sich selbst, den sehr sensiblen und sympathischen Autor.

Das bunte Coverdesign? Es sind farbige runde Scheiben, die offensichtlich um sich selbst kreisen, nicht ohne sich mit den Nachbarn zu berühren bzw. zu überschneiden – eine starke künstlerische Symbolik zum Buch, das sehr zur Lektüre empfohlen werden kann. Es liegt immerhin schon in der 8. Auflage nach Ersterscheinung 2021 vor!

F.T.A. Erle
Magdeburg (April 2022)

Cover: Verlag