Abbildung 1
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Erinnerung an Johann Leopold Edler von Auenbrugger

Am 19.11.1722 – vor 300 Jahren – wurde in Graz Leopold Auenbrugger (Abb. 1) als Sohn des Gastwirts Sebastian A. und dessen Ehefrau Maria Theresia geboren. Er besuchte das Jesuitengymnasium in Graz und studierte nach Erhalt des Dr. Franz Emerich-Stipendiums (1747) bis 1752 in Wien Medizin. Am 18.11.1752 erfolgte die Promotion mit der Arbeit über „Aphorismus Hippocratis LII, Sect.II“. Von 1751 bis 1757 arbeitete A. als Sekundararzt am Spanischen Hospital, wo er 1758 zum Primararzt aufrückte. Zwischenzeitlich erfolgte 1754 die Eheschließung mit Marianne von Priesterberg.

Unerquickliche kollegiale Verhältnisse am Spanischen Hospital veranlassten A. 1762, sich in die Privatpraxis zurückzuziehen, wo er zum gesuchtesten Wiener Arzt für die Behandlung der Brustkrankheiten und Meister der Thorakozentese wurde.

Am 12.11.1783 erfolgte durch Joseph II. die Verleihung des Adelstitels (Edler zu Auenbrugg) und 1796 die Berufung als Gastprüfer der Fakultät. Der Tod ereilte ihn nach kurzer Krankheit am 18.05.1809, 2 Uhr nachmittags. Die Beisetzung erfolgte auf dem Matzleinsdorfer Friedhof.

Die Zeitgenossen schilderten A. als gütig und freundlich. Seine musikalische Veranlagung ging auf die Töchter Franziska und Marianne über. Der Vater schrieb 1781 das Libretto für ein Singspiel von Antonio Salieri (1750 – 1825) („Der Rauchfangkehrer oder die unentbehrlichen Verräter ihrer Herrschaften aus Eigennutz“). Von Franziska rühmte Friedrich Nicolai (1733 – 1811) 1784 das meisterliche Klavierspiel und den Gesang. Die Schwester trat als Schülerin von Salieri auch mit Kompositionen an die Öffentlichkeit.

Abbildung 2
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Wir erinnern uns am 300. Geburtstag des Mannes, über welchen der später ebenfalls berühmte Kliniker Joseph Skoda (1805 – 1881) schrieb, dass er „mit dem vollsten Recht den Ruhm verdient, als Gründer der neueren Diagnostik angesehen zu werden“.

1761 erschien von A. bei Trattner in Wien das „Inventum novum ex percussione thoracis humani ut signo abstrusos interni pectoris morbos detegundi“ (Abb. 2). Auf 95 Seiten wurden die Ergebnisse siebenjähriger Beobachtungen zur Lehre von der mittelbaren Perkussion zusammengefasst.

1776 folgte das umfangreichste Buch „Experimentum nascens de remedio specifico sub signo specifico in mania vivorum“ (X + 157 Seiten). A. empfahl darin Kampfer als Heilmittel und beschrieb die Scrotumkontraktur als spezifisches Zeichen während der Wutanfälle (Abb. 3).

1782 veröffentlichte A. einen Bericht über die Wiener Influenza (1762 und 1782), 1783 „Von der stillen Wuth oder dem Triebe zum Selbstmorde als einer wirklichen Krankheit“ sowie einen Bericht über die Heilart einer epidemischen Ruhr im Jahre 1779.

Um auf die Perkussion zurückzukommen, so waren im medizinischen Wien die hippokratischen Mitteilungen der succussio (Schädelperkussion bei Tieren zur Diagnose von Blasenwürmern), die Abdominalperkussion und Anatomia practica in der Schule Gerard van Swieten (1700 – 1772) bekannt und für Auenbruggers „Erfindung“ wohl anregender als die spekulative Annahme der vom Vater durchgeführten „Weinfässerklopferei“.

Abbildung 3
Abbildung 3

In der Vorrede zu „Inventum novum“ schrieb A. (Übersetzung v. R. Creutz): „Dir, geneigter Leser, stelle ich ein von mir gefundenes Zeichen auf zur Aufdeckung der Brustkrankheiten. Es besteht in der Perkussion des menschlichen Brustkorbes, wobei durch deutlich wechselnden Widerhall des Schalles ein Urteil über die innere Beschaffenheit der Brusthöhle erbracht wird. Das in dieser Hinsicht Entdeckte hat eine siebenjährige Beobachtung gedeutet, geordnet und an das Licht gestellt, nicht aber das Gelüst zu schreiben oder das Prunken mit Spekulationen … Ich schrieb nur das, was ich inmitten von Mühen und Verdruss durch das Zeugnis meiner Sinne erforscht habe, und niemals habe ich verführerischer Eigenlieb (…) Raum gegeben. Damit aber niemand glaube, dass an den von mir angeführten Krankheiten das Zeichen schon völlig ausgeschöpft ist, so gestehe ich in aller Aufrichtigkeit, dass hinsichtlich dieser (Krankheiten) Mängel noch übrigbleiben, die eine emsige Beobachtung mit der Zeit bereinigen wird, während sie vielleicht hinsichtlich anderer (Krankheiten) Wahrheiten ergründen wird, die zur Erkenntnis, Voraussage und Heilung der Brustkrankheiten dienlich sein werden … Daher verdient es den ersten Platz hinter der Prüfung des Pulses und der Atmung. Denn fürwahr, in welcher Krankheit auch immer ein unnatürlicher Schall des Brustkorbes beobachtet wird, deutet es stets auf vorhanden große Gefahr.“

A. beschrieb 11 Observationes mit 24 Unterabteilungen. In der ersten Beobachtung wird über die Schallerscheinungen beim Beklopfen eines Gesunden geschrieben. Es folgt in der zweiten Beobachtung die Untersuchungstechnik (Anschlag mit aneinander gelegten, gerade ausgestreckten Fingerspitzen. Hand des Perkutierenden soll mit einem Stoffhandschuh oder der Brustkorb des Patienten mit einem Hemd bedeckt sein). In der
3. Beobachtung wird zwischen dem normalen = sonoren Perkussionston, dem sonus alterior (= tympanitisch), sonus obscurior (= gedämfter Ton) und sonus prope suffocatus oder percussae carnis (= Schenkelschall) unterschie-den. In den Observationes IV – XX wird über Befunde bei akuten und chronischen Erkrankungen der Lunge und des Rippenfells (darunter u. a. auch bei Keuchhusten und 41-tägigem Herbstwechselfieber, Husten und Dyspnoe bei Herzerweiterung) berichtet. In den Beobachtungen XXI – XXIV folgen Veränderungen bei Herzerkrankung. Die dabei auf Seite 86 erwähnte Dämpfung und Auftreibung des Epigastrium und Senkung des linken Leberlappens bei exsudativer Perikarditis ist noch heute als „Auenbruggersches Zeichen“ bekannt. Auch die Tendenz von mit Perikarderguss Erkrankten zum Schlafen im Sitzen mit nach vorn geneigtem Körper wird erwähnt.

Trotz einer Zweitauflage (1765) fand die Perkussionsmethode zunächst keine allgemeine Anerkennung, zumal die verehrten Lehrer Auenbruggers (van Swieten und Anton de Haen [1704 – 1776]) sie ignorierten. Erst Maximilian Stoll (1742 – 1787), seit 1776 Klinikchef in Wien, erkannte den Wert der Methode, besprach sie positiv (1786) und demonstrierte in der Klinik.

In Deutschland gab es positive Besprechung durch Johann August Unzer (1727 – 1799), Herausgeber der Wo-
chenschrift „Der Arzt“ 1761 („dass die Kunst des Beklopfens am gesunden Brustkorb fleißig geübt werden müsse, ehe man die Schallveränderungen bei Brustkrankheiten richtig erkennen könne“).

Albrecht von Haller (1708 – 1777) schrieb 1762 in „Göttinger Anzeigen von gelehrten Sachen …“: „Des D. Leopold Auenbrugger, der den Spanischen Hospital zu besorgen hat, Inventum novum …“ ist aller Aufmerksamkeit würdig, und so viel wir wissen, wenn sie sonst richtig ist, eine völlig neue Erfindung. Alle dergleichen Vorschläge verdienen zwar nicht auf der Stelle angenommen, aber mit aller Achtung angehört zu werden …“.

Der Lokalpatriot möchte anmerken, dass die Kliniker Kurt Sprengel (1766 – 1833; „ Handbuch der Semiotik, Halle, J. J. Gebauer 1801 und Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde, 5. Teil, Halle 1803,
S. 553 – 554) und Johann Christian Reil (1759 – 1813; Ueber die Erkenntniss und Cur der Fieber. Besondere Fieberlehre, 2. Bd., Halle 1804, S. 512) in Halle/Saale die Perkussionslehre kannten.

Den internationalen Durchbruch erhielt die Perkussion durch das Wirken von Jean Nicolas Corvisart de Marest (1755 – 1821) von der Charité Paris. Corvisart hatte Auenbruggers Arbeit durch Lektüre der Aphorismen von M. Stoll kennengelernt und in der Folge die Perkussion fruchtbar erweitert. 1808 erschien „Nouvelle méthode pour reconnaitre les maladies internes de la poitrinne par la percussion de cette cavité por Auenbrugger …“ und im angefügten Kommentar Corvisarts wurde auch die von Auenbrugger nur angedeutete Perkussion des Herzens ausgearbeitet. Zuvor hatte Corvisart mit C. E. Horeau „Essai sur les maladies et les lesions organiques du coeur et des gros vaisseaux“ veröffentlicht. In dieser Schrift ist zu lesen (zit. nach Übersetzung der 2. Aufl. durch L. Rintel, Berlin 1814, S. 355): „Unter eben diesen äußerlichen Hilfsmitteln zur Erkenntniss der Krankheiten des Centralorgans des Blutumlaufes gebührt dem Anschlagen an den Thorax eine ausgezeichnete Stelle. Dieses Mittel, von welchem ich in vielen Fällen einen glücklichen Gebrauch gemacht habe, hat sich mir vorzüglich da stets bewährt, wo ich mich von dem gesunden oder kranken Zustande der Werkzeuge der Circulation überzeugen wollte …“

Nach Corvisarts Pionierarbeit wurde in Frankreich die Perkussion obligat gelehrt und auch in Deutschland wurde die Methode in die klinische Ausbildung übernommen (ab 1820 lehrte Chr. Fr. Nasse, 1778 – 1859, in Halle die Perkussion; ab 1828 hielt der Schüler von Lucas Schönlein, Karl Pfeufer, in Würzburg Perkussionskurse ab).

Wien wurde ab 1848 wieder zum Zentrum der physikalischen Diagnostik, als Joseph Skoda zum klinischen Lehrer berufen wurde. Dieser hatte bereits 1839 die „Abhandlung über Perkussion und Auskultation“ veröffentlicht. In dieser hatte er die Methode der mittelbaren Perkussion (Finger-Finger; Finger-Hammer) anstelle der unmittelbaren (Fingerperkussion) Auenbruggers beschrieben.

Die weitere Entwicklung der Perkussion in Deutschland ist mit den Namen von A. Wintrich (1812 – 1882), Carl Gerhard (1833 – 1902), Janos Plesch (1878 – 1957; Schwellenperkussion), in Frankreich mit Pierre-Adolphe Piorry (1794 – 1879; Plessimeter), Henry Roger (1809 – 1891), in Amerika mit Austin Flint (1812 – 1886) und in England mit Arthur Ernest Sansom (1838 – 1907) verbunden.

Auch in der Neuzeit stellt die Perkussion einen Grundbaustein der physikalischen Diagnostik dar. Der namhafte amerikanische Kardiologe Bernard Lown schrieb: Eine andere Form der Berührung ist die Perkussion, die von Leopold Auenbrugger … eingeführt wurde … Die Perkussion hilft eine Verdichtung des Lungengewebes (…) sowie Flüssigkeitsansammlungen in Brusthöhle und Bauchraum zu entdecken und lässt eine ungefähre Bestimmung der Herzgröße zu. Darüber hinaus stellt sie eine Verbindung zwischen Arzt und Patient her und wirkt als vertrauensfördernde Maß-nahme („Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken“, Schattauer, Stuttgart-New York 1996).

MR Dr. Dieter Schwartze
06193 Petersberg