Marietta Slomka
Alles, was man schon immer über Politik wissen wollte
Droemer Verlag 2022, ISBN 978-3-426-27871-0, Hardcover 22 x 15 cm, illustriert mit Cartoons von Mario Lars, 365 Seiten, 20,00 €
Das Gesicht der Autorin dürfte mindestens ebenso bekannt sein wie die Front-ansicht des Kanzleramtes in Berlin. Das Buch: Die Gestaltung des Coverbildes und die Formulierung des Titels lassen fast an einen Krimi denken, wäre da nicht der entscheidende Untertitel.
„Politik zu beobachten kann sehr viel Spaß machen…“, verkündet die Hauptmoderatorin des heute journal im ZDF. Im vorliegenden handlichen Buch berichtet sie von ihren beruflichen Einsichtnahmen in die und Erfahrungen aus der täglichen politischen Praxis. Sie strukturiert den umfangreichen Inhalt didaktisch eingängig in sechs thematische Kapitel, nämlich zur Demokratie, zu Deutschland, zu Medien, zur Wirtschaft, zu Europa und zum Klima.
In diesen Blöcken geht sie anhand weiterer Differenzierung in die Tiefe der Themen und ordnet ihnen weitere Unterbegriffe zu, die die Sachen auf den Punkt bringen. Bestimmte Begriffe bzw. Schlagwörter versieht sie in besonderen Absätzen mit einem Punktpfeil und nennt das dann Insiderwissen. So geht der Weg z. B. im 2. Kapitel (Deutschland: So funktioniert Politik) im Unterabschnitt (Der Bundestag: Im Fegefeuer der Fraktionen) in die folgende Textsubstruktur (Die Fraktion als Vorhölle) und gibt dort noch das Insiderwissen zu den Hinterbänklern preis. Das mag in dieser Rezension etwas „dröge“ daherkommen, bei der Ausführung durch Marietta Slomka ist es das keinesfalls. Man findet auch ohne exakte Unterordnung mit Nummerierung bis in die Graswurzel die jeweilig interessierenden Themen bzw. Begriffe im sehr hilfreichen Register am Ende des Buches wieder. Die geistreichen, in die Zeilen eingebauten Cartoons des Illustrators Mario Lars laufen dem Leser (m/w/d) gelegentlich über den Weg. Bei der Formulierung ihrer Texte ist sie die zu erwartende Profi. Sie lesen sich flüssig bei aller gepflegten Burschikosität. Da dürfen auch schon mal die Doofen und Gemeinen mitmachen, werden die höchsten Repräsentanten des Staates auf ihre Nullnummern an den schwarzen Limousinen reduziert (01 Bundespräsident, 02 Bundeskanzler, 03 Außenminister). Unter den Politikern, denen sie ein hohes Maß an Engagement und Einsatz bescheinigt, macht sie aber auch andererseits diese oder jene Faultiere bzw. Stinkstiefel, Idioten und Wichtigtuer aus. Nur, eine kleine Kommune im Nirgendwo sollte sie nicht als „Provinzkaff“ disqualifizieren. Es ist auch Deutschland! Sie verweist auf Fein- und Grobheiten im Interviewkontakt, nicht ohne eingängige Beispiele, und kommt zu dem Schluss: „Früher war nicht besser und Demokratie ist kein Selbstläufer“.
Dem Gendern gibt sie angemessenen Raum, ohne sich zu sehr die eigene Sprache verdrehen zu lassen. Subtiler Sarkasmus scheint immer wieder mal durch. Der Schreiberin ist es mit diesem Buch gelungen, das weite Feld der Politik aus der Nähe ihrer Erfahrungen dem Leser nahe zu bringen, fast wie in einem guten Lehrbuch, nur einiges spannender. Und die Fußballsprache ist ihr nicht fremd! Häufig bedient sie sich ihrer.
Was hat das alles mit der titelgebenden Nacht im Kanzleramt zu tun, das an einer Stelle auch als Todeszone der Politik bezeichnet wurde? Dort wird eben nicht nur getagt sondern des öfteren auch nächtlich hart gearbeitet, zäh verhandelt, bis zum Umfallen gekämpft. Fledermauspolitik nennt Marietta Slomka diesen Modus der politischen Arbeit, die mitunter 35 Stunden am Stück dauern kann. In diesem Haus, das die findigen Berliner wegen seiner großen runden Fenster „Waschmaschine“ getauft haben. Ein sehr modernes Gebäude, nicht gemütlich aber auch nicht muffig auftretend, wie so manches andere Pendant bei Nachbarn. Mehr als 700 Leute sind in ihm angestellt. Es ist ca. achtmal größer als das Weiße Haus in Washington!
„Ein junges Buch für die Themen von heute“, sagt die rückwärtige Klappe. Das allein sollte Empfehlung genug sein, auch für Alte!
F.T.A. Erle, Magdeburg
(Oktober 2022)
Cover: Verlag