Kurt Kotrschal
Wie aus ihm unser erstes Haustier wurde – und warum seine Rückkehr Chancen bietet
Brandstätter Verlag Wien 2022, ISBN 978-3-7106-0597-3, gebunden mit Schutzumschlag,
im Oktavformat, farbig illustriert, 239 Seiten, 25,00 €
Es sei lange bekannt aber wenig beachtet, dass die Beziehung zum Tier als Gradmesser der Verfasstheit einer Gesellschaft verstanden werden kann. So der prominente Verhaltensforscher Prof. Kurt Kotrschal (im Weiteren kurz K. K. genannt), wissenschaftlicher Nachfolger, wenn auch nicht Schüler des legendären Konrad Lorenz. Sein Fokus liegt auf Wolf und Hund und der Alpenrepublik. An der Veterinärmedizinischen Universität Wien leitete er das von ihm gegründete Wolfsforschungszentrum (WSC).
Zornesröte und Angstschweiß auf der einen Seite, Toleranz und Begrüßung auf der anderen unserer Mitbürger kennzeichnen die Wahrnehmung der Rückkehr von Wölfen ins Zentrum Europas, nun also auch in Österreich. Wer hat welche Rechte an diesem großen Beutegreifer, hier nie Raubtier genannt, seinen Lebensäußerungen, seiner Existenzsicherung?
Wölfe sind nicht so, wie viele Leute glauben, Hunde übrigens auch nicht und Menschen schon gar nicht, meint K. K. Ein Leben ohne wildlebende Wölfe hält er zwar für möglich aber nicht für erstrebenswert. In seiner Monografie kommt er vom Wolf auf den Hund. In vier Sachkapiteln: (1. Wölfe, Hund und Mensch – eine lange Beziehungsgeschichte, 2. Die Rückkehr der Wölfe: Chancen und Herausforderung, 3. Wie Wölfe zu Hunden wurden, 4. Zur Zukunft von Wölfen, Hunden und Menschen) lässt er seinen Kenntnisreichtum spielen, mitunter zugegebenerweise von informierter Spekulation begleitet. Und so macht er sich zum wortreichen Anwalt des wiedergekommenen, unterschiedlich tolerierten bzw. bekriegten Wolfes, vor allem in den Alpen, wo eine diesbezüglich illegale Wilddieberei floriere. Denn in Europa ist der Wolf streng geschützt, dürfte auch bei Aufnahme in das Jagdrecht nicht „entnommen“, d. h. abgeschossen werden, seltene Ausnahmen ausgenommen.
Es ist eine unendliche Geschichte mit dieser teilweise esoterisch überhöhten Kreatur Wolf. Es hat einen gewissen Reiz, das Wolfthema mal aus einer anderen Gegend vorgestellt zu bekommen, hier aus der Alpenallianz (Österreich, Südtirol, Bayern). Gibt es doch dort neben einer starken Wilddichte auch den traditionell zahlreichen Auftrieb von Weidetieren in Gatter oder völlige Freiheit, ein Beuteparadies für Wölfe. Sie haben ein natürliches Aneignungsrecht auf das Wild, die Jäger auch, keiner von beiden ein Besitzrecht.
Für K. K. ist der Wolf ein wichtiger Regulator für den Erhalt intakter Ökosysteme. Er steht an der Spitze der Nahrungskette und fördert die Gesunderhaltung der Wildbestände. Zudem übt er einen positiven Einfluss auf die Biodiversität aus. Dass er da mit den Interessen der weidenden Nutztierhaltung kollidiert, liegt auf der Hand. Aber es ist nicht der Wolf, der die zunehmende Reduzierung der Weidetiere zu verantworten hat. Streunende Hunde sind mindestens ebenso effektiv. Gibt es doch global bei schätzungsweise bald zehn Milliarden Menschen eine Milliarde Hunde! Als Todesursachen für die Wölfe kommen in der Alpenrepublik an erster Stelle die Kollisionen mit Kraftfahrzeugen, dann die illegalen Abschüsse sowie Giftfallen in Frage. Auch ein Zusammentreffen mit fremden Wanderwölfen endet meist tödlich.
K. K. hat für beide ein Faible, die Wölfe und die Hunde. Wölfe machten als Hunde Karriere als wohl die ersten Haustiere der unbehausten Steinzeitmenschen. 30.000 Jahre dauerte diese Anpassung. Heute leben etwa 20.000 Grauwölfe frei in Europa. Sie sind Weitwanderer auf der Suche nach Lebensraum, Nahrung und Partner und mit einer hohen Vermehrungsrate gesegnet. In Deutschland dürften es z. Zt. etwa 2.000 Tiere sein. Sie werden unsere Wildbestände nicht ausrotten, sieht man von den Fremdlingen Mufflons ab. Sie werden auch bei uns keine Menschen töten, da sie Abstand zu ihnen halten. Die wenigen spektakulären Fälle geschahen entweder unter Missachtung der Sicherheitsregeln in Gehegen oder sind eher streunenden Hunderudeln in südlichen Breiten zuzuschreiben.
Anno 2019 wurden in Deutschland 2.500 Nutztiere von ihnen gerissen, die aber zum größten Teil nicht ausreichend durch einen „Guten Hirten“ geschützt waren. Ein Arrangement der Tierhalter mit dem Wolf geht nur über fachgerechten Herdenschutz, dessen Kostenaufwand staatlicherseits gestützt wird. „Problemwölfe“, die diesen Schutz permanent zu umgehen gelernt haben, dürfen lt. FFH-Richtlinien der EU geschossen werden. Dafür bedarf es wohl der Bewältigung einer längeren bürokratischen Strecke.
Das kompakte Buch bietet eine Fülle an Material zum Thema Wolf und Hund. Prof. Kotrschal bearbeitet es anhand seiner einmaligen fachlichen Kompetenz, stilistisch mitunter etwas redundant mit zahlreichen Wiederholungen von Ermahnungen etc. Es ist ihm offensichtlich sehr wichtig, den Menschen, den Hund und den Wolf in Zusammenhang zu bringen. Dass der Umgang mit der starken Wolfspopulation in Deutschland (mit der südlichen Einschränkung) als beispielhaft im Sinne der Gesetzlichkeit begriffen wird, freut den hiesigen Leser.
Das Buch als Leseobjekt ist hochinteressanten Inhalts, jedoch von diskussionswürdiger Machart. Ein Sachbuch ohne Sachregister und ohne differenziertes Inhaltsverzeichnis kann man getrost als mängelbehaftet bezeichnen. Die zahlreichen Zwischenüberschriften der Hauptkapitel sind nur durch Blättern im laufenden Text zu finden. Die rigide Bindung mit starkem Papier und Seitenzahlen in Kleinstschrift erschwe-ren zusätzlich das Nachschlagen. Das Lesebändchen war noch nie so wertvoll. Man sollte es trotzdem gelesen haben. Wüsste man z. B. sonst, dass der Goldschakal in Europa wie Bär und Luchs das Thema berühren? Im Anhang befinden sich ausreichend Literatur und Quellenangaben.
F.T.A. Erle
Magdeburg (Januar 2023)
Cover: Verlag