Verlag C. H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-40664430-6,
Hardcover m. Schutzumschlag im Großoktav, 134 teils farb. Abb.,
343 S., € 29,95
Der Ansicht, der Mensch sei nirgends so präsent wie in seinem Gesicht, wird man spontan zustimmen wollen. Was aber ist das Gesicht? Ist es wirklich die unterhaltendste Fläche auf der Erde, wie es G. C. Lichtenberg einmal ausdrückte?
Hans Belting, ausgewiesener Kunsthistoriker, Medienwissenschaftler und Bildspezialist, geht mit seiner vorliegenden Monografie das Wagnis ein, Antworten auf Fragen zum Bild des Gesichtes zu finden. Für den Leser stellt sich schnell heraus, dass sich das als die ziemlich mühselige Expedition in ein schier grenzenloses Gebiet der Kulturgeschichte erweist. Das lässt sich allein schon daran erkennen, dass der Autor über ganze siebzehn Seiten einer Einleitung versucht, den Gegenstand einzugrenzen. Es ist wahrscheinlich der erste Ansatz zur umfassenden wissenschaftlichen Niederschrift einer Geschichte des Gesichts, die von den Masken der Steinzeit bis in die gegenwärtigen digitalen Medien reicht.
Hans Belting strukturiert seine Texte in drei große Abschnitte: I. Gesicht und Maske in wechselnden Ansichten, II. Porträt und Maske. Das Gesicht als Repräsentation und schließlich III. Medien und Maske. Die Reproduktion von Gesichtern.
Zahlreiche Abbildungen lockern die teils langen und äußerlich amorphen Textseiten für den Leser auf, geben ihm die Möglichkeit zur Rast. Durch das gesamte Buch zieht sich die Feststellung, dass das Gesicht nicht in seiner Lebendigkeit, seinem Wesen fassbar ist. Es widersteht jedem Versuch, es auf Bilder festzulegen, endet immer wieder als Maske. Dabei steht es bei jeder Darstellung des Menschen im Mittelpunkt. Es scheitert als Abbildung aber am Leben, das nicht übertragen werden kann. Das träfe selbst für die Porträtkunst zu. Versteht es doch schon die lebendige Mimik, als eine essentielle vitale Äußerung zur Maske zu erstarren.
Im ersten Abschnitt befasst sich der Bildwissenschaftler Belting mit der Mimik und den Rollen des Gesichts, geht auf die Entstehung der Masken in der Kultur ein und sucht sie in den kolonialen ethnologischen Sammlungen von Museen auf. Er bringt Gesicht und Maske im Theater in Beziehung und geht den Weg von der Physiognomik zur Hirnforschung nach. Schließlich befasst er sich mit der Gesichtsnostalgie und der Totenmaske in der Moderne.
Im zweiten Abschnitt widmet er sich ganz dem Porträt und seiner Bedeutung in der bürgerlichen Gesellschaft. Er unterscheidet dabei ein echtes vom ähnlichen Gesicht und deren gesellschaftliche Rolle. Selbst im Fortschritt der Fotografie erkennt er den Maskenzwang.
Im dritten Abschnitt kommt die medienwissenschaftliche Kompetenz des Autors zu Wort. Er stellt die faces, die Mediengesichter und ihre Konsumenten ins Zentrum seiner Forschungen, bescheinigt den Bildarchiven eine Aufgabe als Kontroll-instanzen. Video und Life-Bild wären nur Versuche, eine Flucht aus der Maske zu unternehmen. Zwischen den prominenten Gesichtern der Massenmedien und den anonymen Gesichtern der Massen, von denen sie konsumiert werden, fände kein direkter Kontakt mehr statt. Durch das Bild, das sich an die Stelle des Gesichts setze, gewänne letzteres eine abstrakte Gewalt. Es erwidert keinen Blick aus dem Publikum, auf das seine Wirkung berechnet ist und bleibt unerreichbar auf sich selbst bezogen und ebenso anonym, wie es die Übertragung ins Wohnzimmer ist, auch wenn beharrlich ein face-to-face vorgetäuscht wird. Die mediale Präsenz löst die rituelle Präsenz von einst ab. Die Gesichter bleiben in einer Fremdabwesenheit blind für ihr Publikum. Die Ikone zieht alle Blicke auf sich und erreicht doch keinen. Auch kann das Mediengesicht nicht sterben. Waren es einstmals Schauspieler, so geben in dieser Rolle heute mehr Politiker, Sportgrößen und Musikstars den Ton an. Der Drang nach Erwiderung des leeren Blicks aus den Medien führt nach Erkenntnis des Autors den Fan schließlich dazu, sich dem Idol anzugleichen, das Vorbild leibhaftig zu verkörpern. Die Angebote der kosmetischen Chirurgie seien ein Indiz für solche radikalen Näherungsversuche.
Man findet in den mitunter stark der Theorie verbundenen Erörterungen jedoch immer wieder Bezüge zur eigenen Erlebniswelt und zu gegenwärtigen Themen. Es bedarf allerdings einiger Geduld, sich in solche Passagen vorzuarbeiten. Ingmar Bergmann, Marylin Monroe und die Polit- und Pop-Ikone Mao geraten u. a. in das Blickfeld des Hans Belting und damit hier des Lesers. Nicht vergessen seien aber auch die flüchtigen realen Gesichter der täglichen Begegnung im eigenen öffentlichen Umfeld. Ist doch der Blick in das Gesicht des anderen eine bedeutende Komponente der Kommunikation von Mensch zu Mensch, zumindest in unseren Breiten. Das muss nicht überall auf der Welt so sein. Schleier und Burka regeln das
z. B. auf ihre Weise, verhindern den frechen visuellen Zugang in das Gesicht der Frau bzw. ermöglichen das unverstellte Hinsehen derselben aus ihrer Reserve. Die Monographie hat nach Einschätzung kompetenter Beurteiler das Zeug, ein Standardwerk für die moderne wissenschaftliche Bildbetrachtung zu werden. Sie stellt eine umfassende Abhandlung zum Gegenstand Gesichtsbild dar. Sie ist qualitativ gut ausgestattet und lohnt ihren Preis. Eine themenspezifische Enzyklopädie wird sie jedoch nicht sein wollen. An die fünfhundert Literaturanmerkungen und die entsprechenden Verzeichnisse und Register zeugen von einem reichhaltigen Quellenschatz.
Vor allem dem Kunstgeschichtler mag dieses Werk zur wertvollen Hilfe werden. Dem interessierten Leser bringt die anspruchsvolle Lektüre das Gesicht aus einem besonderen Blickwinkel näher.
F.T.A. Erle, Magdeburg