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Leserbrief

Zum Artikel „Kaposi-Tumor-ähnliches Hämangioendotheliom – fachspezifisches perioperatives Management Laparoskopische Cholezystektomie für symptomatische Cholezystolithiasis (CCL) bei Kasabach-Merritt-Syndrom (KMS)“

Zum Artikel „Kaposi-Tumor-ähnliches Hämangioendotheliom – fachspezifisches perioperatives Management Laparoskopische Cholezystektomie für symptomatische Cholezystolithiasis (CCL) bei Kasabach-Merritt-Syndrom (KMS)“

im Ärzteblatt Sachsen-Anhalt, Heft 05/2024, Seite 17ff

Nomenklatur der ISSVA-Klassifikation und Interdisziplinäre Abstimmung bei Gefäßanomalien

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großem Interesse haben wir den o. a. Artikel gelesen, der eine interessante und auch komplizierte Fragestellung im Zusammenhang mit hämostaseologischen Komplikationen bei einer Patientin mit einer angeborenen Gefäßanomalie behandelt. Es ist das Verdienst der Autoren, hier auf diese Fragestellungen aufmerksam zu machen. Dennoch verbleiben hier aus fachlicher Sicht Anmerkungen und Richtigstellungen, die die Aussagekraft für die Leserschaft nochmals verbessern sollen.

Zunächst einmal gilt im Bereich der angesprochenen Gefäßanomalien wissenschaftlich die Klassifikation der International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA). Diese unterscheidet grundsätzlich zwischen Gefäßtumoren (wie einem Kaposiformen Hämangioendotheliom; KHE) und Gefäßmalformationen (wie einer Venösen Malformation; VM) (1). Eine Gefäßmalformation und ein Gefäßtumor sind biologisch und histopathologisch ganz unterschiedliche Gefäßerkrankungen. Der Begriff des „Riesenhämangioms“ ist nicht wissenschaftlich fundiert und gibt, wie in diesem Fall, eher Anlass zur Verwechslung. Sowohl die Anamnese als auch die im Artikel dargestellten MRT-Bilder zeigen bei der Patientin eindeutig eine typische, ausgedehnte Venöse Malformation (VM) und kein Kaposiformes Hämangioendotheliom (KHE). Abhängig von der Art und Größe der Gefäßanomalie gibt es dabei zwei typische, unterschiedliche Arten von Gerinnungsanomalien, die mit Gefäßanomalien assoziiert sind: Einmal die ständige lokale intraläsionale Aktivierung der Blutgerinnung durch stagnierendes Blut innerhalb einer Venösen Malformation (Lokalisierte Intravasale Gerinnung, localised intravascular coagulation, LIC). Dies betrifft vor allem großvolumige venöse Malformationen wie bei der vorliegenden Patientin. Bei einer ausgeprägten Aktivierung, z. B. durch eine Operation, kann es hier zu einer Disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (DIC) kommen.

Eine andere Komplikation ist Thrombozytenaktivierung und -verbrauch bei gleichzeitiger Gerinnungsaktivierung bei bestimmten Gefäßtumoren mit ausgeprägter tiefer Thrombozytopenie (Kasabach-Merritt-Phänomen, KMP). Dies betrifft vor allem den semimalignen Gefäßtumor Kaposiformes Hämangioendotheliom (KHE), der hier explizit nicht vorliegt. Folgende Übersichtstabelle fasst diese Gerinnungsphänomene zusammen (2,3):

Tabelle 1: Vergleich der beiden typischen Gerinnungsphänomene, die mit einer Gefäßanomalie assoziiert sind.

Entsprechend lag bei der Patientin mit einer VM auch kein KMP vor, das durch eine tiefe Thrombozytopenie gekennzeichnet ist, sondern eine LIC (siehe auch Laborbeschreibung im Artikel).

Nur ein KHE weist immunhistochemisch in Anteilen auch Blutgefäßendothelzellen mit einer lymphatischen Differenzierung auf (damit D2-40 oder LYVE1 Positivität), diese fehlt bei der Venösen Malformation. „Hauthämangiome“ (welche Hämangiome sind hier gemeint, Infantile oder Kongenitale Hämangiome?) weisen auch keine Mortalität von 10 % auf. Diese unscharfe Begrifflichkeit zeigt den Wert einer klaren Nomenklatur, entsprechend der vorliegenden ISSVA-Klassifikation. Absolut im Einklang mit den Autoren denken auch wir, dass die Interdisziplinäre Abstimmung und auch Koordination, möglichst an Interdisziplinären Zentren, für diese seltenen und schwierigen Patienten eine Verbesserung des Managements ergibt (4).

Walter A. Wohlgemuth
Universitätsklinik und Poliklinik für Radiologie, Universitätsklinikum Halle

Maciej Pech
Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Magdeburg

Literatur

  1. ISSVA Classification: https://www.issva.org/UserFiles/file/ISSVA-Classification-2018.pdf
  2. https://www.compgefa.de/wissen/typische-gerinnungsanomalien
  3. Brill R, Uller W, Huf V, Müller-Wille R, Schmid I, Pohl A, Häberle B, Perkowski S, Funke K, Till AM, Lauten M, Neumann J, Güttel C, Heid E, Ziermann F, Schmid A, Hüsemann D, Meyer L, Sporns PB, Schinner R, Schmidt VF, Ricke J, Rössler J, Kapp FG, Wohlgemuth WA, Wildgruber M. Additive value of transarterial embolization to systemic sirolimus treatment in kaposiform hemangioendothelioma. Int J Cancer. 2021 May 1;148(9):2345-2351
  4. Cucuruz B, Koller M, Pfleiderer R, Geisthoff U, Meyer L, Kapp F, Lang W, Schmitz-Rixen T, Wohlgemuth WA. Towards a better treatment of patients with vascular malformations: certified interdisciplinary centers are mandatory. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2022 Feb;168:1-7.