Klimasensible Sprechstunde
Für die konkrete Beratung zu gesundheitsrelevanten Aspekten des Klimawandels wurde das Konzept der klimasensiblen Gesundheitsberatung entwickelt (1). Diese Beratung beinhaltet die Integration von klimarelevanten Themen im Rahmen der üblichen Konsultation, um eine Bewusstseinsbildung für Gesundheitsrisiken infolge des Klimawandels und eine entsprechende Anpassung des Verhaltens bei den Patientinnen und Patienten zu erreichen. In Baden-Württemberg kann der unter Umständen entstehende Mehraufwand einer solchen Sprechstunde in der Hausarztzentrierten Versorgung unter bestimmten Voraussetzungen abgerechnet werden (4). Das Interesse von Krankenversicherungen an dem Thema beruht unter anderem darauf, dass klimarelevante Themen und Inhalte häufig zugleich gesundheitsfördernd und wirtschaftlich sinnvoll sind (sogenannte Ko-Benefits) (1). Das Benennen solcher Ko-Benefits kann Patientinnen und Patienten motivieren, empfohlene Maßnahmen umzusetzen. Eine klimasensible Gesundheitsberatung ist – wie jede medizinische Beratung – sehr individuell und sollte an den Werten und Interessen der Patientinnen und Patienten ausgerichtet werden. Methodisch empfehlen sich eine patientenzentrierte Kommunikation, aktives Zuhören sowie das Konzept des „Shared-Decision-Making“. Durch eine motivierende Gesprächsführung können die Patientinnen und Patienten selbst Vor- und Nachteile ihres Verhaltens sowie mögliche Lösungs- oder Anpassungsstrategien erkennen und es kann so die Selbstwirksamkeit gestärkt werden.
Hitzeanpassung
Hitzewellen mit hohen Tagestemperaturen und geringer nächtlicher Abkühlung sind in Deutschland (und weltweit) mit einer Übersterblichkeit assoziiert (5), daher sollte das Thema “Hitzeschutz” besonderes Augenmerk bei der Beratung entsprechend vulnerabler Patientinnen und Patienten finden. Entsprechende Beratungen können eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, kühl halten des Körpers und der Wohnung sowie ein hitzeadaptiertes Verhalten hinsichtlich Bewegung und körperlicher Aktivität beinhalten. Gerade in Gesundheitseinrichtungen (Kliniken, Pflegeeinrichtungen) sollte diesem wichtigen Anliegen Rechnung getragen werden, z. B. durch Beschattung und richtiges Lüften. Außerdem sollten gerade an heißen Tagen daran gedacht werden, dass auch im Wartebereich Getränke angeboten werden. Für Risikopatientinnen und -patienten sind während Hitzewellen Sprechstunden zu kühleren Tageszeiten (zum Beispiel am Morgen) ein sinnvolles Angebot. An Tagen mit Hitzewarnung sollte auf belastende diagnostische, medikamentöse oder therapeutische Maßnahmen (z. B. Belastungs-EKG, Physiotherapie) verzichtet werden. Elektive Termine können auf einen späteren Zeitpunkt (soweit planbar nach der Hitzewelle) verschoben oder die Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Telefonsprechstunde kontaktiert werden. Risikopatientinnen und -patienten kann auch durch einen Hausbesuch den Weg in die Praxis erspart werden. Um regelmäßige Kontakte zur Überprüfung des Befindens von Risikopatientinnen und -patienten während Hitzewellen zu gewährleisten, sollte ein informelles Netzwerk aus Familienangehörigen, Freundinnen/Freunden, Nachbarinnen/Nachbarn aktiviert werden, die sich regelmäßig telefonisch oder persönlich bei den Betroffenen melden. Im ambulanten Bereich bietet sich die hausärztliche Versorgung als koordinierende Anlaufstelle beim Hitzeschutz an: hier sind die informellen und formellen ambulanten Versorgungsstrukturen von Risikopatientinnen und -patienten bekannt – dadurch wird eine gezielte Betreuung und Prävention ermöglicht.
Medikation
Während Hitzeperioden sollte die Medikation überprüft und gegebenenfalls (vorübergehend) angepasst werden. Namentlich kann eine Dosisreduktion oder das Absetzen von Diuretika erforderlich sein. Es können (vor allem bei subkutan oder transdermal verabreichten Medikamenten) Veränderungen der Resorption oder Pharmakokinetik und bei einigen Medikamentengruppen Störungen der körpereigenen Kühlungsmechanismen auftreten. Besonders kritisch sind neben Diuretika anticholinerge Substanzen, Sedativa und (transdermal verabreichte) Opioide zu betrachten.
Ernährung
Eine gesunde Ernährung verringert das Risiko für Folgeerkrankungen von Fehlernährung und Übergewicht. Gleichzeitig schützt sie die Ressourcen unseres Planeten. Ein Beispiel für eine Ernährung, die Gesundheit und planetarer Gesundheit gerecht wird, ist die Planetary Health Diät (6). Diese Diät basiert auf einer überwiegend pflanzlichen Ernährung, bei der saisonale und regionale Produkte bevorzugt werden. In wesentlichen Punkten decken sich diese Empfehlungen mit denen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bzw. einer mediterranen Kost. Die aktuelle Empfehlung der DGE rät zu einer Ernährung, die zu mindestens 75 % aus pflanzlichen Lebensmitteln besteht und nicht mehr als 2 Portionen Milch und Milchprodukte pro Tag (400 g/Tag) enthält sowie 1-2 Portionen Fleisch und Wurst pro Woche (bis zu 300 g/Woche) (7). Gerade der Verzicht auf Fleisch kann zur Verringerung des individuellen CO2-Fußabdrucks wesentlich beitragen und zugleich das Risiko für Darm-, Lungen- und Brustkrebs reduzieren (8). Tatsächlich zeigt eine aktuelle Umfrage der AOK (9), dass dazu Beratungsbedarf besteht: zwei Drittel der Menschen in Sachsen-Anhalt würden sich gern nachhaltiger ernähren. Nur 21 % wissen jedoch, dass der Verzehr von weniger Fleisch und anderen tierischen Produkten nicht nur gesund ist, sondern auch einen besonders großen Effekt beim Klimaschutz hat. Für den Fischkonsum besteht dabei durchaus ein Zielkonflikt: einerseits kann Fisch Bestandteil einer gesunden Ernährung sein, andererseits muss einer Überfischung der Meere entgegengewirkt werden.
Mobilität
Bewegungsmangel ist ein weit verbreitetes gesundheitsrelevantes Problem in Deutschland. Die Folgeerkrankungen sind gut bekannt. Die WHO empfiehlt Erwachsenen mindestens 150 Minuten Bewegung pro Woche, Kindern mindestens eine Stunde Bewegung pro Tag (10). Öfter aufs Fahrrad zu steigen, kurze Strecken zu Fuß statt mit dem Auto zurückzulegen oder den ÖPNV zu nutzen, verkleinert nicht nur unseren CO2-Fussabdruck, sondern verringert auch Gesundheitsrisiken durch Bewegungsmangel.
Prävention
Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit (nicht nur im Bereich der Mobilität) sind in der Regel auch nachhaltig – aus ökonomischer, ökologischer und medizinischer Sicht. Primärprävention und die Vermittlung von Gesundheitskompetenz sind Ziele, die sich mit denen einer klimafreundlichen Medizin decken. Programme zur Förderung der Früherkennung von hitzebedingten Krankheiten, die Förderung von Impfungen – auch gegen durch den Klimawandel begünstigte Krankheiten – und die Entwicklung von Strategien zur Reduktion von Umweltgiften verdienen neben den etablierten Vorsorgeprogrammen in Zukunft besondere Aufmerksamkeit. Der Klimawandel kann zu psychischen Belastungen wie Stress, Angstzuständen oder Depressionen führen, insbesondere bei Menschen, die direkte Auswirkungen erleben, wie z. B. Naturkatastrophen oder Lebensraumverlust. Ärztinnen und Ärzte können eine wichtige Rolle dabei spielen, diese psychosozialen Folgen zu erkennen und ihre Patientinnen und Patienten im Sinne der Prävention zu unterstützen, resilienter gegenüber den Herausforderungen des Klimawandels zu werden.
Mitigation: Verkleinern des (eigenen) CO2-Fußabdrucks
Neben der Möglichkeit, sich an die bereits gegebenen und sich weiter entwickelnden ungünstigen Klimabedingungen anzupassen, kann dem Fortschreiten des Klimawandels entgegengewirkt werden. Einige Handlungsspielräume sollen hier kurz vorgestellt werden.
Digitalisierung
Durch die Digitalisierung analoger Arbeitsprozesse können Ressourcen im Sinne der Klimafreundlichkeit, aber auch – als Zusatznutzen – im Sinne der Arbeitsökonomie eingespart werden: So können Termine (zum Beispiel Mitteilung von Laborbefunden) nach Möglichkeit als Telefon- oder Videosprechstunde angeboten werden. Dadurch werden An- und Abfahrtswege vermieden – das verringert nicht nur CO2-Emissionen, sondern den Patientinnen und Patienten wird dadurch auch Zeit, Geld und Organisationsaufwand erspart (11). Die elektronische Patientenakte kann einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten: nicht nur, weil durch ihre Nutzung Papier eingespart werden kann, sondern vor allem, weil durch den Zugriff auf Vorbefunde Doppeluntersuchungen vermieden werden können. Darüber hinaus können Prozesse wie Terminvergabe und -erinnerung sowie Dokumentation digitalisiert werden.
Energieverbrauch
Auch in Gesundheitseinrichtungen kann – wie im privaten Bereich – z. B. durch den Einbau von Thermostaten zur kontrollierten Temperatureinstellung, durch das Abschalten von Geräten, oft mit automatischer Regelung, und durch richtiges Lüften der Energieverbrauch gesenkt werden – das ist auch wirtschaftlich vorteilhaft. Ähnliche Effekte können durch eine klimafreundliche Mobilität und Erreichbarkeit erreicht werden (z. B.: durch Fahrrad(stellplätze), Job-Fahrräder, E-Auto, Fahrgemeinschaften, ÖPNV-Anbindung, Job-Ticket).
Vermeidung von Abfall
Die Verwendung von Einweginstrumenten und Verbrauchsmaterialien sollte kritisch hinterfragt und so weit wie möglich reduziert werden, z. B. durch Verwendung von Nachfüllpackungen für Seifen oder Desinfektionsmittel, Mehrwegabwurfbehälter und indem Patientinnen und Patienten ihre eigenen Handtücher zu geplanten Untersuchungen mitbringen. Bei der mitunter sehr schwierigen Abwägung des Nutzens von wiederverwendbaren Instrumenten als Alternative zu Einmalartikeln kann ein Rechner der KV Sachsen-Anhalt hilfreich sein (12). Als einfache Faustregel gilt, dass eine umfangreiche Umverpackung und lange Transportwege im Sinne der Nachhaltigkeit besonders ungünstig sind. Ein Zusammenschluss mit anderen Praxen, Kliniken oder Gesundheitseinrichtungen zur Logistik und Materialwirtschaft kann hilfreich sein, um diese Prozesse gemeinsam umweltverträglicher (und auch wirtschaftlicher) zu gestalten.