Ein Bluttest zur Früherkennung von Krebs – noch nie war die Medizin diesem Ziel so nah wie jetzt. Zwar spüren derzeit erhältliche Versionen noch nicht alle Krebsarten sicher auf, aber die Forschung schreitet enorm schnell voran. „In den nächsten Jahren werden sie noch zuverlässiger werden“, sagt Prof. Dr. Hans-Joachim Schmoll, Vorstandsvorsitzender der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft.
Der Mediziner überblickt die Krebsforschung wie nur wenige seines Fachs, ist er doch seit mehr als 50 Jahren auf diesem Gebiet tätig. Als Schmoll im Jahr 1971 als junger Arzt an der Medizinischen Hochschule Hannover begann, sich mit Therapien gegen Krebs zu beschäftigen, steckte die Forschung, insbesondere in Deutschland, noch in den Anfängen. Es gab wenig wirksame Therapien, die Diagnose bedeutete allzu oft den Tod des Patienten.
Die Entwicklung sei in keinem medizinischen Fach so dynamisch verlaufen wie in der Onkologie. Dies liege vor allem daran, dass spätestens in den 1990er Jahren die Forschung zur Krebsbiologie intensiviert wurde. Daraus ließen sich diverse diagnostische und therapeutische Optionen ableiten. Zugleich wurde die Entstehung von Krebs immer besser verstanden. „Wir verstehen zunehmend, was in den Zellen passiert“, sagt Schmoll. Das hat in der Vergangenheit bereits neue Therapien hervorgebracht, zum Beispiel jene, die mit Hilfe monoklonaler Antikörper „Medikamente“ gezielt in die Zellen bringen und damit Krebszellen abtöten. „Doch seit etwa fünf Jahren sind wir in eine neue Dimension eingetreten“, sagt Schmoll. „Und diese Kurve zeigt weiter steil nach oben“.
Dennoch: Selbst wenn es inzwischen möglich ist, dass Patienten mit Hilfe hochwirksamer Immuntherapien mehrere Lebensjahre gewinnen und oft sogar ein Langzeit-Überleben möglich ist, und selbst wenn diese Therapien insgesamt weniger Nebenwirkungen haben, so wird der Krebs noch häufig zu spät erkannt und verläuft daher noch viel zu oft tödlich. Zukunftsmusik ist hingegen, seine Entstehung gänzlich zu verhindern. Solange das nicht möglich ist, bleibt die Frühdiagnostik der Schlüssel zum Erfolg. Das bedeutet: Der Krebs muss so früh erkannt werden, dass die Medizin noch rechtzeitig eingreifen kann. In einem Stadium also, in dem die Patienten häufig noch keine Symptome verspüren.
An dieser Stelle setzt die molekulare Diagnostik als eine der vielversprechendsten Entwicklungen an: Aus Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin und Speichel mit Hilfe eines Tests eine gesicherte Aussage darüber treffen zu können, ob und wo sich im Körper eines Patienten Krebszellen befinden und auch, um welchen Krebs es sich dabei handelt. Derzeit arbeiten gleich mehrere Firmen an der Entwicklung derartiger Tests. Der bisher am häufigsten untersuchte ist der Galleri-Test, der nach so genannten methylierten Zellen sucht, jenen also, die bei der Entwicklung von Krebs als typische krankhaft veränderte Zellen auftreten. Zwar ist der Galleri-Test noch nicht von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen, aber er könne in den Vereinigten Staaten bereits auf Privatrezept erworben werden.
Auf dem jährlichen Krebskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurden bereits im Juni 2023 erste Ergebnisse einer Galleri-Studie präsentiert. Darin berichteten Forscher, dass der Test bei 5400 Patienten mit Symptomen, die auf eine mögliche Krebserkrankung hindeuteten, angewendet worden sei. In zwei von drei Fällen habe er richtiggelegen. Diese ersten Ergebnisse zeigen, dass der Test noch nicht zuverlässig genug detektiert. Weder wurden alle Krebsarten erkannt, noch war es in allen Fällen möglich, bei einem positiven Ergebnis zu identifizieren, wo genau im Körper ein Tumor entsteht.
Doch Schmoll ist sich sicher, dass „die Unsicherheitsfaktoren solcher Tests abnehmen und ihre Genauigkeit dramatisch zunehmen wird“. Aktuellere Arbeiten zeigen wie rasant diese Entwicklung voranschreitet: Bereits im Dezember 2023, also nur wenige Monate nach der Galleri-Studie, veröffentlichten Forscher der Rockefeller University New York im Fachblatt „Cancer Discovery“ ihre Ergebnisse über die Vorarbeiten zu einem Bluttest, bei dem ein von Tumorzellen produziertes Schlüsselprotein sehr früh erkannt wird. Die veröffentlichten Daten deuten auf ein enorm sensitives Potential von „LINE-1-ORF1p“, einem Protein also, dass nach Ansicht der Wissenschaftler, als ein entscheidender Marker für das Vorhandensein eines sehr frühen malignen Tumors im Körper angesehen werden kann.
Die Daten deuten darauf hin, dass es – mit Ausnahme von Leukämie oder einem Hirntumor – bei fast allen malignen Tumoren im Blut nachweisbar ist. Nach Ansicht von Hans-Joachim Schmoll besonders wichtig: „Dieses Protein ist bereits in einem sehr frühen Tumor-Stadium nachweisbar.“ Das würde den Test extrem massentauglich und unglaublich effektiv machen, sowohl bei der Früh- als auch bei der Verlaufserkennung. So seien in der Studie zum Beispiel 90 Prozent der Fälle von Karzinomen im Magen – sowie 100 Prozent in der Speiseröhre erkannt worden.
Schmoll verweist auf die unglaubliche Bedeutung, würden sich diese Daten bestätigen: „Es ist der erhoffte Gamechanger“ und womöglich ein großer Anwärter auf den Nobelpreis für das große internationale Team, das diese Vorarbeit geleistet hat.“ Mit zuverlässigen Bluttests könnte der gesamte Vorsorgeaufwand extrem verbessert werden. Schmoll geht davon aus, dass die Bluttests in etwa fünf Jahren noch genauer sein werden, was ihre Akzeptanz auch bei den Patienten steigern wird. „Ein Prozess mit exzellenten Aussichten“ sei das, an dessen Ende das oberste Ziel, die Früherkennung von Vor- und Frühstadien, stehen wird, und nicht mehr die Behandlung von bereits vorhandenem Krebs. „Wenn sich die Daten in weiteren Studien reproduzieren lassen, dann wird der Bluttest gegen Krebs kommen.“