Zum Hauptinhalt springen

Der Neujahrsempfang der Heilberufe

Medizin am Limit und mit Willen zum Aufbruch

Medizin am Limit und mit Willen zum Aufbruch

Fotos: Viktoria Kühne

Wer wollte, konnte die Kraft und Zuversicht, die für gewöhnlich einem frischen und neuen Jahr innewohnen, zumindest etwas spüren: Der Neujahrsempfang der Heilberufe am Doctor-Eisenbart-Ring in Magdeburg am 15. Januar war ohne Zweifel überschattet vom Anschlag des 20. Dezember 2024. Zu Beginn bat Dr. Jörg Böhme, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSA), um eine Schweigeminute im Gedenken an die Opfer, weiße Tulpen statt bunter Frühlingsboten, die Musik – vom Saxofon Quartett des Telemann-Konservatoriums Magdeburg – eher verhalten statt verspielt. Keine Rede, in der nicht auf das Attentat auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt eingegangen wurde. Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff sprach in seinem Grußwort von einem „katastrophalen Ereignis in der Geschichte Sachsen-Anhalts“. Furchtbares Leid hätten die Menschen erfahren müssen, welches das gesamte Land noch lange beschäftigen werde. Er sprach freilich auch davon, wie sehr man selbst im Ausland bewundere, wie gut die Rettungskette funktioniert habe, durch welche womöglich weitere Todesopfer verhindert werden konnten. „Ich erlaube mir auch ein Gefühl der Dankbarkeit darüber, wie wir gemeinsam – und damit meine ich die ganze Zivilgesellschaft – in diesen fordernden Momenten einander begegnet sind. Wie viele über ihre Grenzen hinausgegangen sind – um Leben zu retten, Leid zu lindern und zu trösten“, erklärte Prof. Uwe Ebmeyer in seiner Ansprache. Und da ist er dann auch immer wieder, neben Trauer und Demut, dieser kleine Funken der Zuversicht, dieser Wille zum Aufbruch. Auch nach dem lähmenden Ampel-Aus, das gerade dem Gesundheitswesen viele unvollendete Gesetze hinterlassen hat. Nein, es ist kein „Weiter so“. Eher ein „Aus der Situation lernen und anpacken“. Vielleicht auch „eigene Wege“ suchen und gehen, aber bitte demokratisch geeint und gemeinsam.

Es ist freilich ein offenes Geheimnis, dass Sachsen-Anhalt dringend Nachwuchs benötigt. Seit Jahren warnen Ärztekammer und auch die Kassenärztliche Vereinigung unisono mit allen anderen Institutionen der Heilberufe in Sachsen-Anhalt vor dem demografischen Wandel: Die Jahrgänge der Babyboomer verabschieden sich in allen Bereichen so langsam in den wohlverdienten Ruhestand. Doch im Vergleich zum ärztlichen Nachwuchs sind es zu viele. Die Versorgung der Bevölkerung steht auf dem Spiel. Projekte wie Landarztquote, „Raus aus der Schule & Rein in die Medizin“ und auch die interministerielle Arbeitsgruppe müssen fruchten. Dazu könnte man auch überlegen, interessierte Ruheständler etwa mit steuerlichen Vergünstigungen auf den Arbeitsmarkt zurückzuholen, zumindest vorübergehend, denn bekanntlich dauert ein Medizinstudium etwas.

Eindrücke aus dem Pressegespräch (li.). Prof. Uwe Ebmeyer (mit Dr. Jörg Böhme) erläuterte die Lage der Ärzteschaft in Sachsen-Anhalt.

Dr. Jörg Böhme formulierte es auf der Pressekonferenz, die traditionell vor dem Neujahrsempfang stattfindet, plakativ: „Wir sind am Ende.“ Berufspolitisch könnte eigentlich kein Haus- oder Facharzt im Land noch neue Patienten aufnehmen. Tun sie es dennoch, dann weil ihr Ethos dies verlange und sie niemanden abweisen möchten. Aktuell seien über 50 Facharzt- und 205 Hausarztstellen im Land nicht besetzt. Ähnlich klingt es aus den Reihen der Psychotherapeuten, auf die nach dem Anschlag eine Welle von dringend bedürftigen, weil traumatisierten Patientinnen und Patienten zurollt. Zusätzlich, versteht sich. „Die Kolleginnen und Kollegen sind voll bis unters Dach. Das wird zum immensen Kraftakt werden.“ Die Apotheker beklagen ein weiteres Sterben von Privat-Apotheken, was vor allem die ländliche und ältere Bevölkerung trifft. Der Nachwuchs wandere ab in Krankenhäuser oder Industrie. Laut Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt, habe es in den letzten Jahren eine eklatante Herabwürdigung des Berufsstandes gegeben. „Früher hieß es im verpflichtenden Hinweistext ,Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker‘, heute ,Fragen Sie Ihre Ärztin und ihren Arzt oder in der Apotheke‘.“ Der Berufsstand sei gestrichen. „Und gipfelte bisher in dem inakzeptablen Vorschlag des Bundesgesundheitsministers, Apotheken ohne Apotheker zu betreiben.“ Auch die Tierärzte und Zahnärzte rufen den Notstand aus: Der Nachwuchs fehlt, die Praxen schließen, weil die Inhaber in Rente gehen. „Es darf nicht sein, dass ein Zahnarztbesuch zum Luxusgut gerät“, so Dr. Jochen Schmidt, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. In den übrigen Praxen werde die Luft immer dünner – und der Ton rauer. Physische Angriffe mehrten sich. „Wir arbeiten bereits an einem Tool, dies konkret zu erfassen“, sagte Prof. Ebmeyer auf Nachfrage. Er hatte bereits im September letzten Jahres darauf hingewiesen, dass die zunehmende Aggressivität in Arztpraxen und Notaufnahmen, auch Notärzten und Rettungspersonal gegenüber Sorgen bereiten. Sowohl der Präsident als auch der KVSA-Chef lobten in diesem Zusammenhang auch die Zusammenarbeit mit der Polizei, um den Schutz bei Rettungs- und Notarzteinsätzen gegebenenfalls zu gewährleisten.

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff dankte in seinem Grußwort dem Einsatz der vielen Helfenden und Retter beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt.
Großartige Musik bot das Saxofon Quartett des Telemann-Konservatoriums Magdeburg.

Das System ist am Limit. Und doch: Es hilft nicht, zu verzagen, sich lähmen zu lassen. Gemeinsam Abhilfe zu schaffen sei das Ziel, mehr noch, es ist zwingend nötig. Es gehe um Abstimmung und Zusammenarbeit auf allen Ebenen. „Wir können keine neuen gesellschaftlichen Lücken aufreißen lassen“, so Ministerpräsident Haseloff, der übrigens sein im November verliehenes Ehrenzeichen der Ärztekammer Sachsen-Anhalt am Revers trug. Eine neue Regierung in Berlin müsse sich etwa des Krankenhausgesetzes annehmen und dringend nachbessern. Er ging in seiner Rede auch auf die aktuell schwierige Stimmung im Land ein, die bei einigen von hohem Frust und Intoleranz geprägt sei. „Wir müssen eine neue Spaltung in Ost-West verhindern“, appellierte er an die Zuhörerinnen und Zuhörer im Festsaal. Und er machte deutlich: „Weltoffenheit und Solidarität bedeuten nicht Staatsversagen und Unsicherheit“.

Gruppenbild mit Ministerpräsident (v. l.): Dr. Jens-Andreas Münch (Präsident AKSA), Dr. Wolfgang Gaede (Präsident Tierärzte-kammer), Prof. Uwe Ebmeyer (Präsident ÄKSA), Dr. Reiner Haseloff, Dr. Jörg Böhme (Vorstandschef KVSA), Dr. Sabine Ahrens-Eipper (Vize-Präsidentin OPK), Dr. Jochen Schmidt (Vorstandschef KZV), Dr. Carsten Hüneke (Präsident ZAK), Mathias Arnold (Vorstandschef LAV).

Prof. Ebmeyer dankte in seiner anschließenden Rede dem Ministerpräsidenten als starken Partner im Bemühen um ein zukunftssicheres Gesundheitswesen in Sachsen-Anhalt. Man wisse, er habe sich – wenn auch vergeblich – für ein mindestens überarbeitetes KHVVG eingesetzt. Es folgte eine Abrechnung mit dem Bundesgesundheitsministerium: Keine neue Approbationsordnung, dafür ein Gesetzeswirrwarr, das durch den Bruch der Ampel unvollendet nun gar an einen Scherbenhaufen erinnert. Doch: „Lassen Sie uns das Beste aus der derzeit windschiefen Lage machen“, lautete der Appell des Präsidenten an die Gäste. Unter den gegebenen Vorzeichen eine bedarfsgerechte, qualitätsorientierte Versorgungsstruktur in Sachsen-Anhalt zu schaffen, sei zwar Herausforderung, doch „Praxen, Kliniken und Apotheken müssen für die Menschen weiter erreichbar sein“. Es brauche dringend Investitionen. Medizin müsse attraktiv und bezahlbar bleiben. Und: „Wir müssen dem Fachkräftemangel entgegensteuern, jungen Ärztinnen und Ärzten, die von unseren beiden Universitäten kommen, Gründe zum langfristigen Bleiben liefern.“ Gesundheitskompetenz und Prävention – auch hier lohne es sich, zu investieren, „denn aufgeklärte Patienten sind eine Entlastung für Notaufnahmen und Wartezimmer“. Potenzial sehe die Kammer im Hinzuziehen der Telemedizin und der Telenotfallmedizin. Das derzeit laufende Pilotprojekt Telenotarzt/Telenotärztin gebe Anlass zu Optimismus. Der Anschlag von Magdeburg habe gezeigt, was Notfallversorgung bedeutet, so der Präsident weiter, der hier noch einmal allen beteiligten Helfern und Rettern – „vom Laien bis zum Spezialisten“ – dankte. Man müsse angesichts der globalen Sicherheitslage anerkennen, „dass wir uns künftig noch besser auf Großschadenslagen und im Sinne eines besseren Schutzes der Zivilgesellschaft vorbereiten müssen“. Ein geplantes Gesundheitssicherstellungsgesetz scheine ein Mittel, um Gesundheitseinrichtungen, Rettungsdienste, Katastrophenschutz, Feuerwehren, der Polizei und allen anderen Akteuren die notwendigen Voraussetzungen zu bieten, sich darauf vorbereiten zu können. Es gehe um technische, finanzielle und regulatorische Dinge, doch seien auch regelmäßige Übungen und vor allem eine funktionierende Abstimmung und Kommunikation mit- und untereinander vonnöten. Damit man sich versteht und bestmöglich handeln und helfen kann. „Gemeinsam.“

Hochkarätige Gäste: Prof. Uwe Ebmeyer (2. v. l.) begrüßte u. a. Petra Grimm-Benne (SPD), Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin.
Gute Gespräche: CDU-Bundestags- abgeordneter Tino Sorge, Axel Wiedemann (Barmer-Landes- geschäftsführer), Marco Bohn (kaufm. Direktor der Uniklinik Magdeburg)

Mit derart wichtigen Impulsen in Richtung Zukunft war nach einem weiteren Musikstück der offizielle Teil beendet. Die angeregten, langen und intensiven Gespräche im Anschluss bei Häppchen vom Büffet lassen hoffen, dass sich gute Gedanken entwickeln und Dinge in eine Richtung bewegen, die allen hilft und wirklich nutzt.

K. Basaran

Auf weiterhin gute Zusammenarbeit: Präsident Prof. Uwe Ebmeyer begrüßt den Ministerpräsidenten.

Weitere Artikel

Das Referat „Ausbildung zur/zum Medizinischen Fachangestellten“ informiert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit