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Dr. Katrin Vogel und Prof. Monika Brunner-Weinzierl

Das Bifidobakterium infantis als Wächter des Immunsystems

Das Bifidobakterium infantis als Wächter des Immunsystems

Dr. Katrin Vogel (l.) und Prof. Monika Brunner-Weinzierl (r.) (Experimentelle Pädiatrie und Neonatologie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
Experimentelle Pädiatrie und Neonatologie, Universitätskinderklinik, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Deutschland

Das adaptive Immunsystem des Kindes unterscheidet sich erheblich von dem des Erwachsenen, insbesondere in seiner Reaktion auf Krankheitserreger, wie uns die Corona-Pandemie eindrucksvoll vor Augen geführt hat. Zum Zeitpunkt der Geburt ist das adaptive Immunsystem des Kindes an die altersgemäßen Bedürfnisse angepasst, um sowohl Pathogene abwehren zu können, als auch zu lernen, körpereigene Strukturen und Nahrung als harmlos einzustufen. Ein wichtiger Faktor für die Schulung und Aktivierung des Immunsystems beim Neugeborenen ist die Besiedlung des Darms. Nach der Geburt wird der Gastrointestinaltrakt des gestillten Säuglings rasch von einem mikrobiellen Konsortium besiedelt, das häufig von Bifidobakterien dominiert wird.1 Bifidobakterien ernähren sich insbesondere von langkettigen Zuckern der Muttermilch, was ihnen einen Vorteil gegenüber anderen Bakterien verschafft. Bisher ging man davon aus, dass B. infantis im Darm als Platzhalter fungiert, um die Ansiedlung potenziell pathogener Bakterien zu verhindern. Studien haben gezeigt, dass die Besiedlung mit Bifidobakterien die Barrierefunktion der Darmepithelien verbessert und durch Nährstoffkonkurrenz und Besiedlung von Lebensräumen an der Darmwand vor potenziellen Krankheitserregern schützt.2,3

Dieser Befund veranlasste uns, genauer zu untersuchen, ob das Bifidobacterium longum ssp. infantis
(B. infantis) tatsächlich nur ein Platzhalter gegen Pathogene im Darm ist, oder ob es gezielt Immunzellen schult.4 Darüber hinaus war von Interesse, ob diese Mechanismen auch bei Erwachsenen ausgelöst werden können.

Da T-Helferzellen eine Schlüsselrolle in der adaptiven Immunantwort einnehmen, weil sie die Bakterien von professionellen präsentierenden Zellen (z. B. Dendritische Zellen, Monozyten, Makrophagen) gezeigt bekommen und entscheiden, ob überhaupt und welche Art von Immunantwort ausgelöst wird, vermuteten wir hier den entscheidenden Schritt, wie mit B. infantis umgegangen wird. Besonders interessant war dabei insgesamt, wie im frühen Lebensalter diese T-Helferzellen differenzieren während sie entweder auf pathogene oder auf harmlose Antigene (Substanzen, die keine Immunantwort auslösen sollen) treffen. Die Studie untersuchte dabei neben der Immunantwort auf B. infantis auch die antibakteriellen T-Zell-Reaktionen gegen zwei weitere Bakterienstämme: Staphylococcus aureus ssp. aureus (S. aureus) und Staphylococcus epidermidis (S. epider­midis) in frühen Lebensphasen sowie im Er­wach-senenalter.

In der Studie wurden Monozyten und T-Helferzellen von Probanden unterschiedlichen Alters isoliert, einschließlich von Probanden mit einer akuten Covid-19-Infektion. Die Monozyten wurden in Anwesenheit von S. aureus, S. epidermidis oder B. infantis gereift, dass sie zu professionellen Antigen präsentierenden Zellen wurden. T-Helferzellen wurden mit ihnen konfrontiert und erkannten tatsächlich alle Bakterien, was durch eine starke Clusterbildung sichtbar wurde. Während die Zellen vom Neonaten recht gut gegen Staphylokokken reagierten, verhielten sie sich bei der Reaktion auf B. infantis ruhig, obwohl sie sich stark zu Clustern zusammenschlossen. Während die Reaktion gegen erstere pro-inflammatorisch, TH1-charakteristische Botenstoffe (Zytokine) und Zellteilung auslösten, teilten sich letztere kaum und sezernierten keine inflammatorischen Zytokine. Diese ersten Ergebnisse zeigten, dass es signifikante erregerabhängige Mechanismen gibt, die sich je nach Lebensalter unterscheiden. Dies deutet darauf hin, dass das Immunsystem von Säuglingen, Kindern und Erwachsenen unterschiedliche Strategien entwickelt, um bakterielle Infektionen zu bekämpfen. Diese Erkenntnisse könnten beitragen, gezieltere und effektivere Ansätze zur Behandlung und Prävention von Infektionen zu entwickeln, die auf die jeweilige Altersgruppe zugeschnitten sind.

Mit diesem Wissen arbeiteten wir zunächst mit B. infantis-reaktiven T-Helferzellen als Kontrollzellen, bis uns klar wurde, dass hier der eigentliche Clou der Studie liegt. Wir haben im Folgenden einen Mechanismus entdeckt, mit dem Immunantworten abgeschaltet werden können. Dieser Mechanismus ist bereits bei reifen Neugeborenen vorhanden, funktioniert aber auch bei Erwachsenen.

Aus mechanistischer Sicht konnten wir erstmals zeigen, dass B. infantis insbesondere die regulatorische T-Zell-Differenzierung fördert, indem seine Erkennung in T-Zellen ein für regulatorische T-Zellen charakteristische Expression von Genen und Rezeptoren auslöst. Gene für FoxP3, GITR, IL-10 und CTLA-4 sind verstärkt exprimiert und vermitteln eine suppressive Funktion und ihr Stoffwechsel ist auf oxidative Phosphorylierung eingestellt. Tatsächlich unterdrückten diese T-Helferzellen die Aktivierung von Staphylokokken-spezifischen T-Helferzellen in einer Zellkontakt abhängigen Weise. Dies geschieht indem die Regulatoren inhibitorisch-wirkende Moleküle wie
IL-10 und Galectin-1 sezernieren und durch Zellkontakt CTLA-4-abhängig andere T-Zellen inhibieren, was wir durch spezifische Blockade der Moleküle Galectin-1 und CTLA-4 beweisen konnten. Bemerkenswerterweise unterdrückten die regulatorischen T-Zellen nicht nur die Aktivierung von pro-inflammatorischen S. aureus- und S. epidermidis-spezifischen T-Helferzellen, sondern dämpften auch die T-Helferzell-Antworten und den „Zytokinsturm“ bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten und tragen so wahrscheinlich zur Unterdrückung schädlicher Überreaktionen des Immunsystems bei (Abb. 1).

Abb. 1: Modell der Interaktion von Bifidobakterium longum ssp. infantis (B. infantis) mit dem humanen Immunsystem.

Monozyten nehmen B. infantis auf, verdauen es und präsentieren es den T-Zellen, die dadurch die Antigene von B. infantis erkennen. Daraufhin differenzieren sie zu regulatorischen T-Zellen, die spezialisiert sind, unerwünschte oder überschießende Immunantworten abzuschalten. Hierzu konnten in vitro sowohl T-Zell-Antworten gegen Staphylococcus aureus, gegen Birkenpollen als auch Antworten von schwer erkrankten COVID-19 Patientinnen und Patienten abgeschwächt, bzw. sogar unterbunden werden. (Symbole der Abbildung wurden von Servier Medical Art verwendet, Servier, Creative Commons Attribution 3.0 Unported Lizenz, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).

Somit könnte B. infantis ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Immunpathologien während des Zeitfensters der Toleranzinduktion in den ersten Lebensmonaten sein und in jedem Alter als Instrument zur Dämpfung unerwünschter Überreaktionen des Immunsystems eingesetzt werden.

Diese Arbeit stellt einen wichtigen Schritt zum Verständnis der antigenspezifischen Reaktionen humaner T-Zellen dar. Diese unterschiedlichen Reaktionen auf die verschiedenen untersuchten Bakterien spiegeln die immunologischen Anforderungen in den ersten Lebensjahren wider. Sofortige Abwehrmechanismen sind notwendig, um den Organismus zu schützen, während die gleichzeitige Entzündung gering gehalten werden muss, um Schäden am sich entwickelnden Gewebe zu vermeiden. Darüber hinaus schließen unsere Ergebnisse eine Lücke im Verständnis der B. infantis-spezifischen Reaktionsfähigkeit von T-Zellen und der zugrunde liegenden Regulationsmechanismen. Das Verständnis dieser Mechanismen liefert daher nicht nur wertvolle Informationen für die Behandlung von Säuglingen und Kindern, sondern könnte auch neue Strategien zur Prävention überschießender T-Zell-Reaktionen bei Erwachsenen liefern. Gezielte, altersspezifische Interventionen können die Infektionsabwehr verbessern, und spezifische Immunmerkmale können möglicherweise alters­übergreifend genutzt werden.

Originalpublikation: Vogel et al., Bifidobacteria shape antimicrobial T-helper cell responses during infancy and adulthood. Nat Commun. 2023 Sep 23;14(1):5943.

Korrespondenzanschrift:
Prof. Dr. Monika Brunner-Weinzierl
Universitätskinderklinik, Experimentelle Pädiatrie und Neonatologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg
Tel.: 0391/67-24003

Literatur
  1. Sela DA, Chapman J, Adeuya A, Kim JH, Chen F, Whitehead TR, et al. The genome sequence of Bifidobacterium longum subsp. infantis reveals adaptations for milk utilization within the infant microbiome. PNAS. 2008;105(48):18964–9.
  2. Servin AL. Antagonistic activities of lactobacilli and bifidobacteria against microbial pathogens. FEMS microbiology reviews. 2004;28(4):405–40.
  3. Senn V, Bassler D, Choudhury R, Scholkmann F, Righini-Grunder F, Vuille-Dit-Bile RN, et al. Microbial Colonization From the Fetus to Early Childhood-A Comprehensive Review. Frontiers in cellular and infection microbiology. 2020;10:573735.
  4. Vogel K, Arra A, Lingel H, Bretschneider D, Prätsch F, Schanze D, et al. Bifidobacteria shape antimicrobial T-helper cell responses during infancy and adulthood. Nature communications. 2023;14(1):5943.

Foto: Sarah Rinka, Universitätsmedizin Magdeburg

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