Fokus auf die wahren Ursachen
Fokus auf die wahren Ursachen
Vernunft statt Provokation
Vernunft statt Provokation
Prof. Gunther Gosch
(Foto: Peter Gercke)
Wer in diesen Wochen die Schlagzeilen verfolgt, gewinnt den Eindruck, das deutsche Gesundheitswesen sei ein Experimentierfeld für populistische Schnellschüsse geworden. Da fordert etwa Ralf Hermes, Chef der IKK Innovationskasse, ein Einfrieren der Honorare der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte – also jener Berufsgruppe, die das Fundament unseres Versorgungssystems bildet. Gleichzeitig schwärmt er von der Wiederauflage der DDR-Polikliniken, als ließe sich ein über Jahrzehnte gewachsenes, patientennahes System einfach durch ein nostalgisches Modell ersetzen, das keinen einzigen zusätzlichen Arzt in das System bringt und dessen Produktivität keineswegs höher ist.
Solche Vorschläge sind keine Lösung, sondern Teil des Problems. Sie lenken ab von den wahren Ursachen der Misere: der strukturellen Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, ihrer Überlastung mit versicherungsfremden Aufgaben, den sich öffnenden Finanzierungslücken zwischen Leistungsempfängern und Beitragszahlern, der Bürokratie und einer stockenden Digitalisierung, die Ärztinnen und Ärzte in Praxis wie Klinik lähmen. Hinzu kommen eine überalterte Ärzteschaft, Nachwuchsmangel in vielen Fachrichtungen und eine Krankenhausreform, die die politisch Verantwortlichen überfordert. Diese Entwicklung ist nicht der engagiert arbeitenden Ärzteschaft anzulasten, die trotz widriger Bedingungen tagtäglich die Versorgung sicherstellt. Das ambulante Gesundheitssystem in Deutschland ist – das wird von Kassenfunktionären gern verschwiegen – vor allem ein von den Niedergelassenen privat finanziertes System, das über eine in keinem anderen Wirtschaftssektor vergleichbare Deckelung der Honorare refinanziert wird.
Was wir brauchen, sind keine absurden Provokationen, sondern mutige Innovationen: ein strukturiertes Primärarztsystem, die Rückkehr zu transparenter Einzelleistungsvergütung im Zuge der überfälligen Entbudgetierung für alle Facharztgruppen sowie mehr Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten. Vielleicht wäre – wie die ÄrzteZeitung 2023 anmerkte – eine Reduktion der Zahl gesetzlicher Krankenkassen nach österreichischem Vorbild sinnvoller, als ständig neue Sparappelle an die Leistungserbringer zu richten.
Curt Goetz ließ seinen Dr. Hiob Prätorius einst von der „Mikrobe der menschlichen Dummheit“ sprechen, gegen die es kein Serum gebe. Manchmal scheint sie in gesundheitspolitischen Kreisen besonders aktiv zu sein. Es liegt an uns, sie mit Vernunft, Sachkenntnis und Beharrlichkeit zu bekämpfen. Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten, einige Tage der Erholung und ein gutes, friedliches Jahr 2026 – mit hoffentlich mutigen politischen Entscheidungen für eine sinnvolle Umstrukturierung des von uns getragenen Gesundheitssystems. Bitte engagieren Sie sich dafür.
Ihr Gunther Gosch
Mitglied des Vorstandes der Ärztekammer Sachsen-Anhalt
Prof. Gunther Gosch
(Foto: Peter Gercke)