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ÄKSA-Vorstand besucht Israelitischen Friedhof in Magdeburg

Die Spuren der jüdischen Ärzteschaft

Die Spuren der jüdischen Ärzteschaft

Fotos: ÄKSA

Nur wenige Meter von der Uniklinik Magdeburg entfernt, direkt am Fermersleber Weg, betritt man durch ein kleines, schwarzes, schmiedeeisernes Tor eine andere Welt. Fast könnte man den Eingang übersehen, sucht man ihn nicht. Das ist womöglich gewollt – oder auch wieder nicht. Hier befindet sich der Israelitische Friedhof von Magdeburg, eine kleine Insel, eine Oase der Ruhe, möchte man sagen, ein friedlicher Hof, beschattet von alten großen Bäumen. Und wie das so ist mit Friedhöfen: Sie erzählen Geschichten. Auch dieser hier vereint menschliche Schicksale wie Tragödien, erzählt von viel zu kurzen und von langen, erfüllten Leben – und von unfassbarem Leid, von einem Menschenhass, der heute wie damals unbegreiflich erscheint, von Verfolgung auf Grund von Religion und Vernichtung einer ganzen Generation – von den Opfern der Shoah.

Nur einen Tag, vor dem Holocaust-Gedenktag am 24. April und dem „Marsch der Lebenden“ von Auschwitz nach Birkenau, besuchte der Vorstand der Ärztekammer Sachsen-Anhalt diesen jüdischen Friedhof und erfuhr auf einem einzigartigen Rundgang so manches über jüdische Riten und Bestattungsweisen sowie über jüdische Ärztinnen und Ärzte, die dort ihre letzte Ruhe fanden. Unter Polizeibewachung. Denn nach wie vor zählen jüdische Einrichtungen in Deutschland zu Zielen von Antisemitismus, Schändung und Zerstörungswut.

Der Rundgang beginnt in der 1864 errichtete Feierhalle mit ihren Buntglasfenstern. Beate Seibert, ehrenamtlich engagiert im Synagogenarchiv der Gemeinde und selbst Protestantin, berichtet hier nicht nur vom Selbstverständnis und dem Verhältnis der Juden zum Tod, von Trauer- und Beerdigungsriten. Das Judentum schreibt Erdbestattungen vor, die spätesten drei Tage nach dem Tod erfolgen soll. Den Verstorbenen zu Grabe zu tragen gilt als „Mitzwa“ – als gute Tat. Seibert erzählt auch von der Geschichte des Baus, der im Nationalsozialismus zu einem der sogenannten „Judenhäuser“ umfunktioniert wurde: Aus ihren Wohnungen vertriebene Juden und ihre Familien mussten hier auf engstem Raum unter teils unwürdigen Bedingungen leben. „Es war für viele die letzte Station, ehe sie in die Vernichtungslager deportiert wurden“, so Seibert. Sie zeichnet darüber ein eindrückliches und vielschichtiges Bild einer Religion und Kultur, die gekennzeichnet ist von Lebensfreude und Fleiß, Menschenliebe, Demut und dem Willen, nachhaltig für die Gesellschaft zu wirken und zu schaffen.

Beim anschließenden Gang erfahren die Zuhörerinnen und Zuhörer – letztere müssen ihre Häupter bedecken – von beeindruckenden Persönlichkeiten aus der jüdischen Ärzteschaft – angefangen bei Samuel Isaak Elbthal (1750/51 – 1825), dem Stifter des Friedhofes, über Dr. med. Julius Wiesenthal (1822 – 1887), Sanitätsrat Dr. med. Moritz Saenger (1858 – 1917) und Dr. med Dagobert Silberstein (1875 – 1935) bis hin zu Dr. med Julius Kahn (1885 – 1939), der bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 Vorsitzender des „Vereins Magdeburger Kassenärzte“ war. Ihm wird 1938 die Approbation aberkannt. Er stirbt nach schweren Misshandlungen im KZ Buchenwald. Sein Grabstein fehlt. Für ihn und seine Frau sollen im Herbst Stolpersteine verlegt werden.

Fragen der Gäste an den 13 besuchten Stationen werden fachkundig und nahbar beantwortet. Warum etwa Steinchen auf den Gräbern liegen? Sie gelten als ein greifbares und bleibendes Symbol der Erinnerung. Allein das Platzieren eines Steins zeigt, dass jemand das Grab besucht und dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen hat. Viele davon liegen auf dem Ehrenmal für die im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten der Gemeinde. Denn viele Juden identifizierten sich nicht ausschließlich mit ihrer Religion, sondern vor allem der Gesellschaft, dem Land, in dem sie lebten.

Neben Beate Seibert erzählen Dr. Benjamin Kuntz, Medizinhistoriker am Robert-Koch-Institut, und Ex-Bibliothekar und Journalist Raimund Dehmlow von den Leben und Leistungen, der hier bestatteten jüdischen Ärztinnen und Ärzte. Es sind spannende Geschichten, beeindruckend, manchmal auch humorvoll. Dehmlow recherchiert und erarbeitet derzeit mit Unterstützung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt ein Buch, das von der Magdeburger jüdischen Ärzteschaft erzählen wird, von ihren Verdiensten, ihrem Leben, der Vertreibung und Verfolgung einer ganzen Generation hoch verdienter Mediziner und Forscher (wir berichteten). Vielen gelang noch rechtzeitig die Flucht, doch mindestens acht fielen dem Holocaust zum Opfer. Das Buch soll im Herbst erscheinen.

K. Basaran

Fotos: ÄKSA

Beate Seibert führt ein in jüdische Bestattungsriten.

Raimund Dehmlow (re.) und Dr. Benjamin Kuntz (2. v. r.) im Gespräch mit den ÄKSA-Gästen.
Dr. Benjamin Kuntz belegt eine Geschichte mit einem historischen Dokument.