Seit dem 2. Mai 1975 gibt es am Krankenhaus in Seehausen einen mobilen Rettungsdienst. Zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Nur in einigen Bezirksstädten der ehemaligen DDR (Magdeburg, Rostock) und in Berlin existierte ein arztbesetzter Rettungswagen.
Im ländlichen Bereich erfolgte der Transport von Kranken und Unfallopfern auf der Grundlage der „Krankentransportordnung“ der Organisation des „Deutschen Roten Kreuz“ – DRK – in der Deutschen Demokratischen Republik. Die damals ins Leben gerufene „Dringliche Medizinische Hilfe“ war ein Novum. Im Bezirk Magdeburg war der Kreis Osterburg der erste Landkreis mit dieser neuen Einrichtung am Krankenhaus Seehausen, der über 24 Stunden täglich einen Rettungswagen mit Sanitäter, Fachkrankenschwester und Arzt für das gesamte Kreisgebiet vorhielt. Grundlage war die Anweisung Nr. 1 zum Aufbau der „Dringlichen Medizinischen Hilfe“ vom 5. Juli 1967 sowie die „Richtlinie für die Notfallmedizin“ der 15. Tagung der Gesundheitsminister des RGW vom Juni 1974.
Im Jahr 1974 wurde vom Kreisarzt eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin des Kreiskrankenhauses Osterburg-Seehausen, dem DRK Kreisverband Osterburg und einigen Technikern benannt, die den Auftrag hatte, für den Kreis Osterburg die Festlegungen der Anweisung Nr. 1. zu verwirklichen. Erfahrungen für einen Landkreis gab es praktisch keine, ein „weißer Fleck“ im Gesundheitswesen sollte mit Farbe versehen werden. Es war eine Art „Pionierarbeit“. Welche Probleme mussten gelöst werden?
Voraussetzung zum Aufbau einer Dringlichen Medizinischen Hilfe – DMH
> Errichtung einer Leitzentrale zur Annahme von Notrufen und zur Einsatzkoordinierung von Rettungsdienst und Krankentransport über die, für den ganzen Kreis Osterburg zu schaltende, damalige Notrufnummer, 115 und die Feuerwehrrufnummer 112.
> Damit verbunden war die Erweiterung des Telefonnetzes und der Aufbau eines Funknetzes
> Herrichtung eines Rettungswagens auf Basis eines B 1000 Krankentransportwagens
> Ausbildung von: Ärzten, Schwestern, Krankentransporteuren und Disponenten für den Einsatz im Rettungsdienst
Leitzentrale
Die Leitzentrale zur Annahme der medizinischen Notrufe über die 115 und der Feuerwehr über die 112, wurde im Gebäude des DRK in Seehausen eingerichtet. Mit altmärkischem Spargel konnte eine Telefonanlage beim RFT in Berlin Adlershof beschaffen werden. Somit war die telefonische Erreichbarkeit gewährleistet. Zum Krankenhaus, dem vorgesehenen Standort des Rettungswagens, war eine Standleitung mit „Kurbeltelefon“ eingerichtet. Da der Kreis Osterburg Grenzkreis war, galt es einige Probleme beim Funkverkehr mit den zuständigen staatlichen Behörden zu regeln. Ein Sprachcode für den Funkverkehr wurde erarbeitet, damit „der Feind“ nicht sofort wusste was passiert war.

Rettungswagen
Damals konnte man keinen „Rettungswagen von der Stange“, wie heutzutage, erwerben. Es stand ein Krankentransportwagen vom Typ B 1000 und eine „Einbauanleitung zur Einrichtung eines DMH-Fahrzeuges“ zur Verfügung. Angeregt durch einen Besuch einer Fachtagung zur Anwendung von „Entonox“, einem festen Sauerstoff-Lachgasgemisch im ambulanten Bereich zur Schmerzbekämpfung, wurde die Idee entwickelt, eine dosierbare Sauerstoff-Lachgasvorrichtung zur prähospitalen Schmerzreduzierung in das Fahrzeug einzubauen. Sauerstoff-Lachgasgemische wurden weltweit täglich 1000-fach in der Anästhesie, mit guten Erfolg, bei einfachem Handling über eine Atemmaske, verabreicht. So wurde ein völlig neues Rettungsfahrzeug eingerichtet. Es soll erwähnt werden, dass diese Methode der prähospitalen Schmerztherapie später mit verbesserter Technik in die weiterentwickelten Rettungsfahrzeuge integriert wurde.



Ärzte
Schwestern
Krankentransporteure
Disponenten


Die folgenden 50 Jahre bis heute
In den folgenden 50 Jahren wurde der Rettungsdienst am Krankenhaus in Seehausen ein wichtiger Bereich der medizinischen Versorgung der Bevölkerung der nördlichen Altmark.
Am 9. März 1976 erfolgte die Anweisung Nr. 1 zum „Aufbau der Schnellen Medizinischen Hilfe – SMH“ des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR. Neben der „Dringlichen Medizinischen Hilfe – DMH“ und dem „Krankentransport – KT“ wurde der „Dringliche Hausbesuchsdienst – DHD“ als weiteres mobiles Element zur Notfallversorgung eingeführt. Hierbei kam ein speziell ausgerüsteter Krankenwagen, besetzt mit einem Krankentransporteur und einem Arzt, zum Einsatz.
1978 wurde dieser Bereich der vorstationären Notfallversorgung auch am Seehäuser Krankenhaus etabliert. Im Jahre 1981 wurde vom Ministerium des Gesundheitswesen der DDR die „Anweisung zum Aufbau von Rettungsstellen“ als Bindeglied von prähospitaler und hospitaler Notfallmedizin erlassen.
1985 konnte eine derartige Funktionseinheit am Krankenhaus in Seehausen die Arbeit aufnehmen. Auch die Rettungsstelle war eine der Ersten an einem Kreiskrankenhaus im Bezirk Magdeburg.
Nach der Wende im Jahr 1990 erfuhr der Rettungsdienst eine organisatorische Umwandlung. Grundlage war zunächst das am 13. September 1990 von der 10. Volkskammer beschlossene, „Rettungsdienstgesetz der DDR“ und seit dem 7. Oktober 1993 das „Rettungsdienstgesetz des Landes Sachsen-Anhalt“.
Eine Symbiose von meistens an Krankenhäusern stationierten „Notarzteinsatzfahrzeugen – NEF“ und an Rettungswachen von Hilfsorganisationen stationierten „Krankentransportwagen – KTW“ und „Rettungstransportwagen – RTW“, im sogenannten Rendezvoussystem, wurde geschaffen. So auch am Krankenhaus in Seehausen. Neue Aufgaben, wie die Ausbildung zum „Arzt mit Fachkundenachweis Notfallmedizin“, „Rettungssanitäter“ und „Notfallsanitäter“ standen und stehen nun auf der Agenda. Um die ärztliche Besetzung des NEF zu gewährleisten, kommen vermehrt, sogenannte „Freelancer“, auch in Seehausen zum Einsatz.
Es ist zu wünschen, dass auch in Zukunft am Krankenhaus in Seehausen ein arztbesetztes Rettungsfahrzeug stationiert ist und die 50-jährige Geschichte der Notfallmedizin, zum Wohle der Bevölkerung der nördlichen Altmark, erweitert und fortgeführt wird.
MR Dr. Walter Fiedler
Notarzt a.D., Seehausen
Fotos: privat
Widmung für Herrn OMR Professor Dr. Wolfgang Röse
Er war maßgeblich bei der Einrichtung der „Schnellen Hilfe“ im Jahre 1960 in Magdeburg beteiligt. Zunächst gemeinsam mit der Feuerwehr, später mit dem Deutschen Roten Kreuz, war es der erste arztbesetzte Rettungswagen, der in der damaligen DDR zum Einsatz kam. Somit kann Professor Röse als „Vater“ des mobilen ärztlichen Rettungsdienstes der DDR bezeichnet werden.
In den Jahren des Aufbaus der „Schnellen Medizinischen Hilfe“ im Bezirk Magdeburg war Professor Röse Ansprechpartner, Ratgeber und Helfer für die jungen Notfallmediziner, die sich dieser neuen Aufgabe widmeten. Mit diesem Artikel sei Herrn Professor Röse dafür gedankt.
MR Dr. Walter Fiedler
Ehrenmitglied AGSAN