Am 22. August 2025 starb in Neu Meteln (Mecklenburg) Prof. Dr. Johannes Helm nach langer schwerer Krankheit im Alter von 98 Jahren. Vermutlich werden viele seinen Namen nicht mehr kennen, dennoch soll an dieser Stelle an den vielfach begabten Psychologen, Maler und Schriftsteller gedacht werden.
Johannes Helm wurde am 10. März 1927 in Schlawa (Niederschlesien), heute Polen, geboren. Mit 17 wurde er 1944 eingezogen und an die Westfront geschickt, wo er in die Kriegsgefangenschaft geriet. Als Kriegsgefangener musste er fast drei Jahre unter schlimmsten Bedingungen in belgischen Steinkohlenbergwerken schuften.
Nach seiner Entlassung 1948 begann er an der Humboldt-Universität zu Berlin ein Studium der Psychologie, das er 1953 mit dem Diplom abschloss. 1958 wurde er zum Dr. phil. promoviert und leitete ab 1977 als Professor den Lehrbereich Klinische Psychologie.
Nachdem sich die Psychologie in der DDR zu Beginn der sechziger Jahre von der Dominanz der Pawlowschen Lehren befreit hatte, beschäftigte sich Helm intensiv mit der neu aufgekommenen Gesprächspsychotherapie, die von dem Amerikaner Carl Rogers begründet und vom Psychologenehepaar Tausch zu Beginn der sechziger Jahre in der Bundesrepublik verbreitet wurde.
Johannes Helm bildete 1968 eine erste Arbeits- und Forschungsgruppe, um sich autodidaktisch das Verfahren der Gesprächspsychotherapie nach Rogers/Tausch anzueignen, übrigens im engen brieflichen Austausch mit dem Ehepaar Tausch. Gemeinsam mit dem Philosophen Achim Thom (Leipzig) widerlegte er das staatliche Vorurteil, dass es sich bei der Gesprächstherapie um eine ursprünglich „bürgerliche“ Ideologie handele, indem sie belegten, dass die Ziele der Gesprächspsychotherapie durchaus auch den Idealen des „sozialistischen Menschenbildes“ entsprechen würde. Es wurden Ausbildungsprogramme für diese Therapieform entwickelt und auch zuerst in Berlin in die Studienrichtung Klinische Psychologie integriert. Sein diesbezügliches Lehrbuch „Gesprächspsychotherapie. Forschung – Praxis – Ausbildung“ erschien 1978 und war ein großer Erfolg.
Im gleichen Jahr 1978 aber erschien noch ein völlig anderes Buch von ihm mit dem Titel „Malgründe“
im Aufbau-Verlag. Um es etwas leger zu sagen: Johannes Helm hatte gewissermaßen noch ein „zweites Leben“: Seit Beginn der siebziger Jahre malte er auch und das mit zunehmender Begeisterung. In diesem Buch stellte er 44 seiner Bilder vor und schrieb dazu einen ein bis drei Seiten langen Text mit seinen Gedanken und Assoziationen zu dem jeweiligen Bild.
Sein Malstil entsprach zuerst der „Naiven Malerei“. Er sagte selbst, dass ihn damals die naive Malerei von Albert Ebert beeindruckt hatte. Albert Ebert (1906 – 1976) war zu DDR-Zeiten Heizer an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale und hatte dort auch zwei Jahre Zeichenunterricht.
„Einsame Birke im Herbst“, Gemälde von Prof. Dr. Johannes Helm | Fotos: Dr. Paul R. Franke
1963 erschien das Insel-Bändchen (Nr. 765) „Albert Ebert. Poesie des Alltags“ und machte ihn schlagartig auch jenseits der DDR bekannt.
1986 beendete Johannes Helm seine akademische Tätigkeit, zog mit seiner Gattin Helga Schubert nach Neu Meteln bei Schwerin, wo er schon seit etwa 10 Jahren zeitweilig wohnte und widmete sich ganz der Malerei.
Dort gab es die Künstlerkolonie „Drispeth“, zu der u. a. auch das Schriftsteller-Ehepaar Christa und Gerhard Wolf gehörte. In Christa Wolfs Buch „Sommerstück“ wird über diese Gemeinschaft geschrieben. Seitdem entstanden mehr als 1.300 Gemälde. Die Phase der naiven Malerei hatte er längst hinter sich gelassen und seine Gemälde, überwiegend Landschaften und Szenisches, sind höchst professionell. Mehrmals im Jahr veranstalteten seine Frau und er in seiner umgebauten Scheune gut besuchte Ausstellungen seiner Bilder mit Lesungen und Musik.
Aber er war auch schriftstellerisch tätig. In seinem Buch „Tanz auf der Ruine. Szenen aus einem vergangenen Land.“ (2007) karikierte er köstlich den Wissenschaftsbetrieb in der DDR. Er sagte mir einmal, dass er beim Schreiben ständig lachen musste. Psychologen aus dieser Zeit werden leicht diesen oder jene erkennen. Wundervolle und emotionale Gedichte schrieb er auch, die z. T. mit Gemälden von ihm in dem Buch „Seh ich Raben, ruf ich Brüder“ (Stock und Stein Verlag) 1996 erschienen.
Johannes Helm war seit 1976 verheiratet mit der Psychologin und Schriftstellerin Helga Schubert (geb. 1940), die auch zu DDR-Zeiten schon schriftstellerisch tätig war und damals u. a. das Drehbuch für den Film „Die Beunruhigung“ über eine an Brustkrebs erkrankte Frau geschrieben hatte.
Frau Schubert war schriftstellerisch sehr produktiv. 1989/90 war sie zum Ende der DDR auch Pressesprecherin des Runden Tisches. 2020 erhielt sie den Bachmann-Preis für eine Lesung aus dem damals entstehendem Buch „Vom Aufstehen“, eine späte, aber hoch verdiente Ehrung.
In dem Buch beschreibt sie ihr Leben und das Zusammenleben mit Johannes Helm, der über viele Jahre an einer langwierigen Krebserkrankung litt und den sie all die Jahre in wahrer christlichen Nächstenliebe aufopferungsvoll zuhause pflegte und ihm den Aufenthalt und das Ende in einem Krankenhaus oder Pflegeheim ersparte.
Meine Frau und ich haben beide jedes Jahr im Sommer besucht und wir haben immer wieder bewundert, mit welcher Ruhe, Güte und Gelassenheit sie diese oft schweren Lebensumstände bewältigte und dabei nachts noch schriftstellerisch tätig war. Ich glaube, dass sein Tod für beide eine Erlösung war.
Dr. med. Paul R. Franke, Magdeburg
Meine fünf Sinne
Seh ich Raben, ruf ich Brüder,
kommt, wir wolln uns was erzählen.
Struppig unsre schwarzen Federn.
Hör ich Gänse schrein im Fluge,
nehm ich Anlauf, breit die Arme,
zieh mit ihnen in den Nebel.
Riech ich die verwirrenden
Hyazinthen vor dem Fenster,
schweb ich mit dem Duft im Winde.
Schmiegt die Katze sich am Abend
an mein Bein, dann gehen wir
Mäusefangen auf dem Boden.
Schmeck ich Birnen, schlag ich Wurzeln,
wachse in den blauen Himmel,
wiege mich am Ast im Sturme.