Dr. Gitta Kudela, Magdeburger Hausärztin aus Leidenschaft, hat sich 2015 in den Ruhestand verabschiedet. Ihr Name hat in der Ärzteschaft bis heute Gewicht. Nach der Wende wagte sie nicht nur den Schritt aus der Poliklinik in die eigene Niederlassung, sie engagierte sich auch in der Berufspolitik – wie sie es auch schon vor der Wiedervereinigung tat. So gehört die heute 79-Jährige zu den Gründungsmitgliedern der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, die in diesem Jahr 35 Jahre alt wird. Sie engagierte sich im Hausärzteverband und bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA).
Wir trafen uns mit Dr. Kudela, die ihre Neugier und Freude an der Medizin an ihre Söhne weitergab, in ihrem Haus in Magdeburg auf einen Plausch über die eigenen Anfänge, ihr Selbstverständnis, turbulente Zeiten vor der Wende, Familie und den Mauerfall, über berufspolitisches Engagement und den Beginn der Selbstverwaltung nach der Wiedervereinigung. Herausgekommen ist ein zweiteiliges Interview. Hier lesen Sie den ersten Teil, der unter anderem die medizinische Versorgung in der DDR beschreibt, vom Zusammenhalt erzählt – und warum zwar nicht alles schlecht war, es aber so auch nicht mehr weitergehen konnte.
Dr. Gitta Kudela: Das sehe ich etwas anders. Ich habe 20 Jahre in der DDR als Ärztin gelebt und gearbeitet – und empfand mich selten als unfrei. Aber dazu vielleicht später mehr. 1971 habe ich mein Examen gemacht, danach konnten wir uns die Fachrichtung selbst aussuchen. Gut, da musste man dann etwas flexibel sein, vor allem wenn man in eine bestimmte Richtung wollte. Aber es musste eine Facharztweiterbildung absolviert werden. Den praktischen Arzt als solchen gab es nicht. Das ambulante Gesundheitswesen war damals weitgehend in Polikliniken aufgefächert. Wobei es auch staatliche Arztpraxen gab – sie waren dann häufig im ländlichen Raum zu finden, wo es sich nicht lohnte, eine Poliklinik zu unterhalten. In einer Poliklinik waren verschiedene Fachrichtungen unter einem Dach. Aber sie wurden zentral geführt.
Ich wählte Allgemeinmedizin – eigentlich meine zweite Wahl.
Das war eine sehr gute, strukturierte Weiterbildung. Die Weiterbildungspläne wurden strikt eingehalten. Die Poliklinik Magdeburg Mitte war ideal, weil sehr groß. Wir hatten mehr als 500 Mitarbeiter, fast alle Fachrichtungen waren da versammelt. Zusätzlich gab es entsprechende Ausbildungsverträge.
Wir durften medizinische Fachzeitschriften lesen, die auch aus dem westdeutschen Ausland kamen. Mein Chef hatte mich zum Beispiel dazu „verdonnert“, Rheumatologie zu machen. Davon hatte ich erstmal keine Ahnung. Ich durfte auch über die Poliklinik westliche Zeitungen abonnieren, da konnte man einiges herauslesen. Ja, so war das in den 70ern.

Foto: Archiv ÄKSA
Stimmt. Eine sehr enge und geschätzte Kollegin, die in der Gesellschaft für Allgemeinmedizin engagiert war, hat mich dann einmal zu einer Tagung mitgenommen. Die suchten auch Nachwuchs – und plötzlich war ich im Vorstand (lacht). Mitte der 80er wurde ich Abteilungsleiterin der Allgemeinmedizin in unserer Poliklinik – und hatte 40 Allgemeinmediziner, die ich nun koordinieren sollte. Das war nicht immer einfach, aber ich habe mich durchgesetzt. So kam es, dass ich 1990/91 zur Gründungsveranstaltung des Hausärzteverbandes nach Dessau gefahren bin – und auf einmal auch dort im Vorstand war. Und dabei war ich nie Genossin!

Mein Mann hat ferngesehen, ich wusch in der Küche das Geschirr. Und ich habe im Radio gehört: Die Mauer ist weg! Dann bin ich ins Wohnzimmer und hab ihm gesagt: Du, die Mauer ist weg! Und er sagte nur: Quatsch! Dann wurde es aber in den TV-Nachrichten bestätigt. Am nächsten Tag hatte ich SMH-Dienst. Das steht für Schnelle Medizinische Hilfe. Plötzlich stand ein Mitarbeiter in der Tür und rief: Leute, ich komme aus Helmstedt! Er war am Abend in den Westen gefahren, hatte Familie besucht und kehrte zurück. Nun wurde er bestaunt. Und dann sind alle wieder an ihre Arbeit gegangen. Das war auch gut so, denn es gab jede Menge Einsätze. Die Leute kippten nämlich reihenweise um, weil alle anfangs einen Stempel von der Polizei benötigten, um über die Grenze zu kommen. Das war mein Mauerfall.
Das Gespräch führte Katrin Basaran.
Wie es danach weiterging und letztlich die Ärztekammer Sachsen-Anhalt gegründet wurde – lesen Sie im Juni-Heft.
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