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Buchrezension

Stand jetzt – Aus dem Wörterbuch meiner Mitmenschen

Stand jetzt – Aus dem Wörterbuch meiner Mitmenschen

Knut Cordsen

Kunstmann Verlag, München 2025, ISBN 978 3 95614 653 4, gebunden 21 x 11 cm, 143 Seiten, 22,00 € | Cover: Verlag

Sprache ist lebendig! Sie lebt u. a. in den Wörtern und Wendungen, die uns laut oder leise, geschrieben oder gesprochen erreichen. Sie wird mit Sinnen und Verstand wahrgenommen und verarbeitet, mit allen ihren Eigenheiten. Sie ist ein Grundpfeiler menschlicher Kommunikation. Ihr gilt dieses kleine Buch des Journalisten Knut Cordsen, Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt.

Stand jetzt, das klingt ein bisschen wie basta! Aber Sprache lässt sich nicht für immer und ewig festschreiben. Zu Goethes Zeiten sprach man auch gutes Deutsch, jedoch anders als wir in unserer Gegenwart. Trotzdem muss immer wieder versucht werden, dieses hohe Gut der Menschheit in seinen unterschiedlichen Ausformungen vor dem Fehlgebrauch, vor Deformationen und Verlusten zu bewahren. Knut Cordsen versucht es mit diesem handlichen Büchlein. Der Autor hat im Verlaufe seines persönlichen und beruflichen Umgangs mit diesem Werkzeug der Kommunikation und Erkenntnis hingehört und sich eine unverbindliche Sammlung schleichender Sprachverbiegungen und Sprüche angelegt, aus der er hier schöpft. Er beruft sich auf sein Vorbild, das Wörterbuch des Unmenschen von Sternberger, Storz und Süskind, das eine systematische Sammlung und Würdigung einschlägiger Begriffe aus der NS-Zeit in den Nachkriegsjahren sehr kritisch ins Auge fasste und in Buchform herausgab. Cordsens hier vorgestellte Sammlung ist weniger umfangreich, hat mehr Beispielcharakter. Er stellt in seiner Schrift 23 Begriffe in alphabetischer Reihenfolge zur Diskussion, die ihm offensichtlich besonders auffielen und die er zu Kapiteln ausformt. Bei Sichtung dieser Liste fühlt man sich irgendwie als Mittäter ertappt, weil man darin mitunter seine eigenen Sprachsünden entdeckt, ohne sich jemals schuldig gefühlt zu haben. Vielmehr noch sieht man vor allem die Gesichter oder Konturen von Personen auftauchen, zu deren Broterwerb die öffentliche Äußerung gehört, Amtsinhaber, Politiker, Wissenschaftler, Funktionäre etc.

Wenn z. B. in politischen Programmen etwas als armutsfest angekündigt wird, soll das doch wohl heißen, dass damit die Armut außen vor bleibt und nicht etwa verfestigt wird, wie die Wortwahl hier aber ausdrückt. Bei Wortspielen mit Bezug auf Brot und Backstuben wird in der Bezeichnung der das Produkt anbietenden Läden eine Vielzahl fantastischer und beziehungsreicher Benennungen benutzt, verkrampft bis poetisch. Da ist es in Rostock der Störte-Bäcker, anderenorts der Brotway, der Brotagonist, die Brotuktion, der Backwahn. Cordsen öffnet seine einschlägigen Sammlerkistchen mit hintergründiger Ironie und mit sichtlicher Freude am Leben der Wörter und ihrer Bedeutungen. Er äußert sich zur Konjunktur des Heldenbegriffs im postheroischen Zeitalter. Er freut sich mit Liberalla und Loriot über einen Zufallsfund im Antiquariat. Dem furchtbaren Vollständigkeitswahn begegnet er mit einem Lobgesang auf die allwaltende Lücke, begibt sich auf einen Exkurs zur vermaledeiten Lügenpresse und macht sich seine Gedanken zur politischen Orthopädie. Die jüdischen Wurzeln der Sauregurkenzeit legt er frei und unternimmt Spaziergänge mit Corona und Pegida. Und natürlich stößt er dabei auch, mehr oder weniger wortreich, an die Brandmauer. Er würdigt den Wertekompass und die Wertschätzung und macht aus dem Homo faber einen Zukunftsmenschen, das Inbild unserer Zeit.

Stand jetzt ist eine sehr unterhaltsame, geistvolle und ergötzliche Lektüre mit Ansprüchen an das literarische Interesse der Leserinnen und Leser. Ein Rätsel bleibt: Was mögen auf dem Cover die beiden gut gekleideten Herren mit den Tierhäuptern für einen Bezug zum Inhalt des Buches haben? Sie sind offensichtlich in ein gepflegtes, einander zugewandtes Gespräch vertieft, letzteres auch ein erkennbares Anliegen des Autors.

F. T. A. Erle, Magdeburg (September 2025)

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