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Das war der 129. Deutsche Ärztetag in Leipzig

„Etwas Nützliches ist geschehn“

„Etwas Nützliches ist geschehn“

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, präsentiert die Novellierung der GOÄ

Der Worte sind genug gewechselt,
Lasst mich auch endlich Taten sehn!
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.

Es gibt nicht wenige Stimmen, die von diesem 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig behaupten, er wäre ein historisch bedeutsamer, zumindest richtungsweisend gewesen.

Wir zitieren die Zeilen aus Johann Wolfgang Goethes „Faust“ im Vorspiel auf dem Theater denn hier auch aus mehreren Gründen. Zum einen deshalb, weil der große Dichter und Denker (1749 – 1832) in „Klein-Paris“, wie man damals die Stadt Leipzig nannte, ab 1765 Jura studierte. Zum anderen, weil wohl eine der bekanntesten Szenen aus dem Werk in Leipzig spielt: als Mephisto und Faust „Auerbachs Keller“ besuchen, der übrigens in diesem Jahr seine 500 Jahre feiert. Und dann lässt sich eben auch beschriebene Szene auf den Ärztetag übertragen: Der Theaterdirektor, der Schauspieler (Lustige Person) und der Dichter streiten um die Inszenierung eines Stücks. Der Direktor will verdienen, der Dichter Qualität und der Schauspieler das Publikum mit guter Unterhaltung versorgen. Letztlich wollen also alle das Gleiche: den Erfolg des Vorhabens. Doch natürlich sind davor Worte nötig, Diskurs und wohl auch Streit in der Sache.

Nun kann man eines über den diesjährigen Ärztetag durchaus sagen: Etwas Nützliches ist geschehen. Bedeutende Beschlüsse und Entschlüsse wurden verabschiedet – mit zumeist überwältigender Mehrheit zu Themen wie der neuen Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) und der Entkriminalisierung der Schwangerschaftsabbrüche. Zur Implementierung der Künstlichen Intelligenz (KI) wurden wichtige Grundsätze formuliert und konkrete Richtlinien für Weiter- und Fortbildungen formuliert. Dies wiegt umso schwerer, als dass der vorherige Ärztetag in Mainz das Bild einer eher heterogenen Ärzteschaft zeigte. Hier nun: ein zumeist geschlossenes Auftreten, mit dem sich die Ärzteschaft als kompetenter und ernst zu nehmender Partner auf dem politischen Parkett empfiehlt. So sind selbstbewusste Gespräche auf Augenhöhe mit der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) denkbar, die dann hoffentlich Früchte im Sinne aller Ärztinnen und Ärzte und für eine gesicherte Versorgung der Menschen im Lande tragen.

Apropos neue Gesundheitsministerin: Mit Spannung wurde der erste Auftritt von Nina Warken vor der Ärzteschaft erwartet. In der historisch bedeutsamen Nikolaikirche – hier liegt ja unter anderem der zentrale Ausgangspunkt der friedlichen Revolution von 1989 – wurde der Deutsche Ärztetag vor rund 1.000 Gästen aus Politik, Gesundheitswesen und Wirtschaft vom Präsidenten der Bundesärztekammer,
Dr. Klaus Reinhardt, eröffnet. Der Thomanerchor sang gar schön dazu und überhaupt: „Mein Leipzig lob' ich mir“, um noch einmal Goethe zu zitieren. An dieser Stelle sei die Sächsische Landesärztekammer (SLÄK) mit ihrem Kammerpräsidenten Erik Bodendieck erwähnt, der Kammer und dem Präsidenten wurde von vielen Seiten für ihre bemerkenswerte Organisation, Herzlichkeit und Gastfreundschaft zu Recht ausdrücklich gedankt.

Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Ihre Rede war mit großer Spannung erwartet worden. Sie warb um Dialog mit der Ärzteschaft.
Die Preisträger der Paracelsus-Medaille (v. l.): Hygieniker Prof. Martin Exner (74), Arbeitsmediziner Prof. Klaus Scheuch (83) sowie die Begründerin der Gendermedizin Prof. Vera Regitz-Zagrosek (71) mit Dr. Klaus Reinhardt (Fotos: Christian Glawe-Griebel_helliwood.com)

Nina Warkens Grußwort stimmte denn positiv: „An gemeinsamen Themen und Herausforderungen herrscht kein Mangel“, rief sie den Zuhörerinnen und Zuhörern zu. „Lassen Sie uns diese Aufgaben mit Mut und Zuversicht angehen. Lassen Sie uns diese Aufgaben gemeinsam angehen! Denn wir brauchen Reformen von allen Beteiligten. Hier möchte ich auch besonders an Sie – die Ärzteschaft – appellieren, diese notwendigen Veränderungen mit uns gemeinsam anzugehen. Ohne Sie geht es nicht, wir bauen auf Sie!“ Neue Töne, die aufhorchen lassen, hatte doch Amtsvorgänger Prof. Karl Lauterbach gern Anmerkungen, Anregungen und Kritik von Medizinern aus der Praxis ignoriert oder schlicht weggelächelt. Der Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, Prof. Uwe Ebmeyer, sagte Warkens Worte hätten eine neue Qualität der Zusammenarbeit in Aussicht gestellt, welche die Ärzteschaft intensiv in den Dialog einbinden soll. Die Zukunft wird freilich zeigen müssen, ob dies auch real stattfindet oder sich die Gesundheitsministerin aufs „Komplimente drechseln“ versteht.

Dr. Reinhard hatte in seiner Eröffnungsrede auf die vielen, drängenden Aufgaben der Gesundheitsversorgung hingewiesen und „mutige Reformen in allen Leistungsbereichen des Gesundheitssystems“ angemahnt. Die von der Koalition angekündigte Einführung des Primärarztsystems etwa wird sich an der Praxis und an der konkreten Umsetzung messen lassen müssen. Der BÄK-Präsident betonte daher, dass dieses System gemeinsam mit der Ärzteschaft intelligent, praktikabel und an den Versorgungsrealitäten orientiert ausgestaltet werden müsse. Zur im Koalitionsvertrag angekündigten Fortentwicklung der Krankenhausreform versprach er die Unterstützung der Ärzteschaft. Es sei ein richtiges Signal, die Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren, bis die Reform greife. Gut sei auch, dass die Personal- und Strukturvorgaben in den Leistungsgruppen praxisnäher und realitätsbezogener gestaltet werden sollen. Er sprach weitere Themen an, die dann auch den Deutschen Ärztetag mitbestimmen sollten: die ärztliche Weiterbildung zum Beispiel. Diese sei eine wichtige Stellschraube dafür, dass auch künftig genügend Fachärztinnen und Fachärzte für die Patientenversorgung zur Verfügung stehen. Bei der Fortentwicklung der Krankenhausreform müssten deshalb Verbundstrukturen für die Weiterbildung gestärkt und Hürden bei der Arbeitnehmerüberlassung abgebaut werden.

Mehrfach wurde es emotional – etwa bei der von Orgelspiel begleiteten Totenehrung. Eher freudig geriet da die Verleihung der Paracelsus-Medaille. Die höchste Ehrung, welche die deutsche Ärzteschaft vergibt, ging in diesem Jahr an den Hygieniker Martin Exner (74), an die Begründerin der Gendermedizin Vera Regitz-Zagrosek (71) sowie an Arbeitsmediziner Klaus Scheuch (83) – drei in ihren jeweiligen Fächern hochverdiente Pioniere und Persönlichkeiten. „Der höchste Grund ist die Liebe“ soll der Arzt und Gelehrte Paracelsus (1493 – 1541) seine ärztliche Motivation und Hingabe einmal erklärt haben. Die drei Ausgezeichneten dürften dem zustimmen.

Nach der Eröffnungszeremonie warteten im Congress Center Leipzig vier arbeitsreiche Tage auf die 250 Delegierten aus den 17 Landesärztekammern. Die ÄKSA entsandte sieben Delegierte – in diesem Jahr wurde die Ärzteschaft Sachsen-Anhalts vertreten von Dr. Petra Bubel, Thomas Dörrer, Dr. Frank Lautenschläger, Dr. Carola Lüke, Prof. Dr. Hermann-Josef Rothkötter, PD Dr. Christine Schneemilch und Henrik Straub und zusätzlich von Prof. Dr. Uwe Ebmeyer als Mitglied des Vorstands der Bundesärztekammer. Im Vorfeld waren von unserer Kammer fünf Beschlussanträge eingereicht worden. Hier in Kürze der Überblick:

Besondere Momente zur Eröffnungsfeier des
129. Deutschen Ärztetages in Leipzig: Der Thomanerchor singt in der geschichtsträchtigen Nikolaikirche vor rund 1.000 Gästen aus Politik, Gesundheitswesen und Gesellschaft. Die evangelische Kirche, deren Ursprünge bis ins Jahr 1165 reichen, war 1989 ein zentraler Ausgangspunkt für die friedliche Revolution gegen
das DDR-Regime.

> Auskunftsanspruch der Patientinnen und Patienten in elektronischer Patientenakte (ePA) umsetzen: Die verschiedenen entstandenen Ansprüche der Patientinnen und Patienten auf Einsicht und Abschrift der Behandlungsunterlagen sollen vereinheitlicht werden. Der Anspruch auf Auskunft soll zukünftig in der ePA ressourcenschonend umgesetzt werden.

> Opt-in-Lösung für Minderjährige bei der Befüllung der elektronischen Patientenakte

> Keine private Nutzung von Smartphones an Schulen: Weil die übermäßige Nutzung digitaler Medien erhebliche Gefahren für die Gesundheit und die Lernentwicklung von Kindern und Heranwachsenden birgt, empfiehlt der Ärztetag die unterrichtsfremde Nutzung mobiler Endgeräte wie Smartphone, Tablets und Smartwaches an Schulen zu reduzieren, möglichst auf null.

> Tiefe Integration von Künstlicher Intelligenz in die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung: Anpassungen in der Approbationsordnung, d. h. die Integration von Lehrinhalten zur KI in das Medizinstudium, um Studierenden den kompetenten und kritischen Umgang mit KI-gestützten Anwendungen zu vermitteln. Die Integration solcher Lehrinhalte soll überholte Ausbildungsinhalte ersetzen. Anpassungen in der Weiterbildung, d. h. die (Muster-) Weiterbildungsordnung ist dahingehend anzupassen, dass systematisch im Umgang mit KI geschult wird.

Diese Anträge wurden mehrheitlich angenommen. Ein weiterer Antrag wurde an den Vorstand zur weiteren Bearbeitung verwiesen:

>Verbesserter Datenaustausch über Kammergrenzen hinweg: Der Vorstand der Bundesärztekammer soll die Bemühungen für einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Ärztekammern und anderen Behörden weiter intensivieren und die Möglichkeiten eines gemeinsamen Registers prüfen.

Aus der Perspektive der Ärztinnen und Ärzte in Sachsen-Anhalt könnte man damit zufrieden sein. Doch dieses „Parlament der Ärzte" fällte zusätzlich etliche Entscheidungen, die eine gewisse Strahlkraft nach außen vermitteln: Als Hauptthema wurde der Einfluss, die Chancen und Gefahren durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin diskutiert. Bereits am Tag vor der Eröffnung des Ärztetages wurde beim Dialogforum mit den jungen Ärztinnen und Ärzten deutlich, was KI schon kann – und was noch nicht. Einig war man sich: Angst davor ist keine Option. Im Gegenteil: Genau hier besteht die Chance für die Ärzteschaft, moderierend und sinnstiftend mitzubestimmen. Um jedoch das ganze Potenzial der KI, eines lernenden Systems, in der Zukunft zur Versorgung nutzen zu können, es zu implementieren, müssten Ärzte es auch verstehen. Transparenz ist das A und O, Wissen ebenso. Und die Frage: Wie gelangt die KI als effiziente und qualitative Unterstützung bis hinein in die ambulante Patientenversorgung? In einem Grundsatzbeschluss stellte der Ärztetag klar, dass die Arzt-Patienten-Beziehung nicht in den Hintergrund geraten darf. KI solle nur dann eingesetzt werden, wenn sie evaluiert und validiert ist, Datenschutz berücksichtigt und die ärztliche Schweigepflicht schützt.

Eine Klasse für sich (v. l.): Prof. Rothkötter, Dr. Lüke, Henrik Straub, Dr. Bubel, Thomas Dörrer und PD Dr. Schneemilch sowie Dr. Lautenschläger (nicht abgebildet) im Plenum. Die Delegierten aus Sachsen-Anhalt absolvierten vier arbeitsreiche Tage.

Das wohl im Vorfeld am meisten kontrovers diskutierte Thema war die Novelle der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Zum Schluss war der Druck auf die Ärzteschaft noch einmal gestiegen: Der Verband der PKV hatte erklärt, eine Ablehnung durch den Ärztetag würde zum Ende sämtlicher Gespräche über eine neue GOÄ führen. Streit gab es vor allem darum, dass die so genannte „sprechende Medizin“ großzügiger bedacht wird, als etwa technische Fächer wie die Radiologie. Für Bundesärztekammerpräsident Dr. Reinhardt war es denn auch so etwas wie eine Nagelprobe, hatte er sich doch in die Verhandlungen mit der PKV seit Jahren eingebracht. Dann die Erleichterung: Mit sehr großer Mehrheit wurde der BÄK-Vorstand beauftragt, die gemeinsam mit dem PKV-Verband entwickelten GOÄ-Entwürfe ans Bundesgesundheitsministerium zu übergeben. Der Ärztetag fordert das Bundesgesundheitsministerium auf, die Novellierung der GOÄ auf dieser Grundlage unverzüglich einzuleiten. Dafür gab es Standing Ovations aus dem Plenum.

Foto links: Vertraten Sachsen-Anhalt (v. l.): Dr. Petra Bubel, Dr. Carola Lüke, Henrik Straub, Prof. Edgar Strauch (HGF), PD Dr. Christine Schneemilch, Prof. Hermann-Josef Rothkötter, Dr. Frank Lautenschläger, Thomas Dörrer und Prof. Uwe Ebmeyer | Foto rechts: Grünes Licht von Sachsen-Anhalt für den Haushalt

Langen Applaus nach ebenso langer wie emotionaler Diskussion gab es zudem für eine geforderte Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des §218: Eine große Mehrheit der Delegierten stimmte (endlich!) zu, den Abbruch im ersten Trimenon außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln und somit zu entkriminalisieren. Dabei soll ein verpflichtendes Beratungsangebot bestehen bleiben. Der Diskurs dazu hatte schon den Ärztetag in Mainz geprägt, dort allerdings nur zu einer hitzigen Debatte geführt.

Für großes Nachdenken sorgte Gastredner Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann, Inspekteur des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Angesichts von globalen Krisen und Bedrohungslagen von außen, mahnte er zur Vorbereitung für den Fall der Fälle. „Wir alle haben als Ärztinnen und Ärzte eine Verantwortung für unsere Patienten.“ Der Ärztetag sprach sich im Anschluss für eine Stärkung der Krisen-Resilienz des Gesundheitswesens aus. Die Politik wurde u. a. aufgefordert, ein eigenständiges, umfassendes Gesundheitsvorsorgegesetz zu erarbeiten, das einen rechtlichen Rahmen schafft, der sowohl Vorsorge- als auch Sicherstellungsaspekte integriert.

Angeregte Diskussion im Dialogforum der jungen Ärztinnen und Ärzte zum Thema KI (links). Foto oben: Emotionaler Abschied von Dr. Cathrin Becker (in Rot). Über Jahre organisierte sie die Ärztetage, Leipzig war ihr letzter. Für ihre Verdienste bekam die ebenso geschätzte wie beliebte Eventmanagerin das Ehrenzeichen der Deutschen Ärzteschaft – und Umarmungen

Am Freitag, den 30. Mai ging dieser 129. Ärztetag zu Ende. Noch bis zum Schluss wurde über Anträge engagiert diskutiert und abgestimmt. Gelebte Demokratie. Und diesmal durchweg konstruktiv. Viele Dinge wurden auf den Weg gebracht, ja: „Nützliches ist geschehn“. Und doch reichte die Zeit nicht, dutzende Anträge mussten an den Vorstand zur Bearbeitung weitergeleitet werden. Eine komplette Übersicht über alle Anträge und Beschlüsse gibt es unter www.bundesaerztekammer.de. Der 130. Deutsche Ärztetag wird vom 12. bis 15. Mai 2026 in Hannover stattfinden. Danach empfiehlt sich Wiesbaden für das Jahr 2027.

Zum Abschluss noch einmal Goethe: „Es ist nicht genug zu wissen – man muss es auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss es auch tun.“

K. Basaran

Foto: ÄKSA

Engagierter Einsatz: Dr. Frank Lautenschläger spricht zum Plenum. Thema: Flächendeckende Etablierung und Unter- stützung von Assistenten-sprecherinnen und Assistentensprechern. Der Beschlussantrag wurde angenommen.
Immer den Überblick behalten:
Prof. Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, ist zugleich im Vorstand der Bundesärztekammer. Er sitzt deshalb nicht in Plenum, sondern auf der Tribüne