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Digitales Element in der rettungsdienstlichen Versorgung

Auf dem Weg zur Telenotfallmedizin in Sachsen-Anhalt

Auf dem Weg zur Telenotfallmedizin in Sachsen-Anhalt

Fotos: DELH

Analog zur allgemeinen Entwicklung einer zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelten in der Medizin hat auch die präklinische Notfallmedizin in den zurückliegenden Jahren eine erhebliche Veränderung erfahren. Dabei etabliert sich neben der digitalen Einsatzdokumentation insbesondere die Telenotfallmedizin als ein neues digitales Element in der rettungsdienstlichen Versorgung.

In Deutschland liegen die Wurzeln der Telenotfallmedizin an der Universitätsmedizin Aachen. Bereits seit 10 Jahren wirken Telenotärzte dort an der Behandlung von Patienten im Rettungsdienst mit. Ein Telenotarzt ist ein im Rettungsdienst eingesetzter Notarzt, der via Telekommunikation Sprach- und ggf. Sichtkontakt zu einem Rettungsmittel und dessen Besatzung vor Ort bei einem Patienten hat. Er nutzt sämtliche verfügbaren therapierelevanten Informationen, die neben den verbalen Schilderungen zum Zustand des Patienten auch die aktuell übertragenen Daten (Vitalparameter und Echtzeitkurven) der eingesetzten medizintechnischen Geräte umfassen. Der Telenotarzt unterstützt nicht-ärztliches Rettungsdienstpersonal bei der Behandlung von Patienten und kann ggf. dadurch die Präsenz eines Notarztes vor Ort oder während des Transportes ersetzen. Ferner unterstützt er die Arbeit der Rettungsleitstelle, in dem er Anforderungen für Sekundärtransporte prüft und bei der Auswahl des geeigneten Rettungsmittels für die Verlegung mitwirkt. Ggf. kann er selbst telemedizinisch Sekundärverlegungen begleiten. Inzwischen versorgen die Telenotärzte der Zentrale in Aachen rund um die Uhr eine Region mit ca. einer Million Einwohnern. Die besondere Bedeutung dieses Telenotarztprojektes kann nicht nur an den zahlreichen vielbeachteten wissenschaftlichen Arbeiten zu Nutzen und Effekten der Telenotärzte abgelesen werden. Vielmehr haben eben diese Ergebnisse dazu geführt, dass mittlerweile eine Vielzahl der deutschen Bundesländer die Einführung von Telenotarztsystemen bereits abgeschlossen hat oder vorbereitet und die aktuellen Gesetzesentwürfe des Bundes zur Reform der Notfallversorgung dem Telenotarzt erhebliche Bedeutung zumessen.

v. l. n. r.: Dr. H. Stefani (Wissensch. Leiter), K. Zimmermann (Staatssekretär MI), Dr. U. Rose (Vorstand ÄKSA)

Notfallsanitäter am Patienten

In Sachsen-Anhalt bietet das Rettungsdienstgesetz durch eine Experimentierklausel (§49a RettDG) die Möglichkeit, neue Versorgungsformen in der Rettungsmedizin vor einer landesweiten flächendeckenden Einführung in Pilotprojekten auszuprobieren. Basierend auf dieser Regelung haben die Landkreise Saalekreis, Mansfeld-Südharz und die kreisfreie Stadt Halle (Saale) die Genehmigung des Ministeriums für Inneres und Sport erhalten, ab dem 01.10.2024 in einem Gebiet mit ca. 560.000 Einwohnern ein Telenotarztprojekt in Sachsen-Anhalt zu erproben. Standort der Telenotarztzentrale wird die integrierte Leitstelle Halle (Saale) sein.

Technisch ausgerüstet und angebunden werden in einem Stufenmodell 27 Rettungswagen, die werktags zwischen 7 Uhr und 19 Uhr einen Telenotarzt kontaktieren können. Sechs Krankenhäuser aus den beteiligten Gebietskörperschaften haben sich bereit erklärt, das Projekt durch die Gestellung von Telenotärzten zu unterstützen. Begleitet wird das Modellprojekt durch das wissenschaftliche Programm „TNSAevidet“ der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dabei werden umfassend die technische Umsetzungsfähigkeit im Flächenland Sachsen-Anhalt und der regionale Nutzen für die Versorgung von Notfallpatienten untersucht. Die Kosten des Erprobungsvorhabens tragen die Kostenträger. Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt (ÄKSA) hat das Telenotarzt-Erprobungsvorhaben bereits seit der Planungsphase maßgeblich unterstützt. Durch die Einführung eines ankündigungsfähigen Titels „Telenotarzt/Tele-notärztin“ wurde eine der Grundvoraussetzungen für das Projekt geschaffen. Ebenso unterstützte die Ärztekammer die Etablierung eines Qualifikationskurses gemäß dem Curriculum der Bundesärztekammer zum Erwerb der Qualifikation „Telenotärztin/Telenotarzt“.

Voraussetzung für den Erwerb der Qualifikation sind die Anerkennung als Fachärztin bzw. Facharzt in einem Gebiet mit unmittelbarem Bezug zur klinischen und rettungsdienstlichen Notfall- und Intensivmedizin, die Zusatz-Weiterbildung Notfallmedizin, der Nachweis von mindestens 2 Jahren regelmäßiger und andauernder Tätigkeit als Notärztin bzw. Notarzt; mindestens jedoch 500 eigenständig absolvierte Notarzteinsätze und Erfahrung in der eigenverantwortlichen Führung von Personen und Strukturen. Zusätzlich muss die Teilnahme an einem von der Ärztekammer anerkannten Kurs nachgewiesen werden.

Den ersten Telenotarzt-Qualifikationskurs in Sachsen-Anhalt führte die Ärztekammer vom 30.08.2024 bis zum 01.09.2024 im Dorothea-Erxleben-Lernzentrum (DELH) der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durch. Für diesen Kurs ist es gelungen, erfahrene Telenotärzte aus den bereits bestehenden Telenotarzt-Systemen in Aachen und Greifswald als Referenten zu gewinnen. Die juristischen Aspekte der Telenotfallmedizin wurden von einem anerkannten Fachanwalt mit diesem Schwerpunkt referiert. Daneben stellten die Vertreter des sachsen-anhaltinischen Pilotprojektes die Umsetzungsplanung vor. Ein besonderer Schwerpunkt der theoretischen Wissensvermittlung lag in den technischen Details des Systems und den damit verbundenen Dokumentations- und Anwendungsbesonderheiten. Die Bedeutung des Kurses für unser Bundesland wurde in den Grußworten sowohl des Vorstandsmitgliedes der Ärztekammer, Dr. Uwe Rose, als auch des Staatssekretärs des Innenministeriums (MI), Klaus Zimmermann, deutlich.

Telenotarzt in der Leitstelle

Erster Telenotarzt-Qualifikationskurs in Sachsen-Anhalt: Kursteilnehmer, Referenten und Gäste

Neben der Vermittlung theoretischer Inhalte konnten die 20 Kursteilnehmer an den im DELH neu geschaffenen Simulations-Arbeitsplätzen für Telenotärzte die Einsatzwirklichkeit trainieren und die technischen Bausteine des Telenotarztsystems kennenlernen. Für eine wirklichkeitsnahe Fortbildung unterstützten Notfallsanitäter aus den Landkreisen Saalekreis, Mansfeld-Südharz und der kreisfreien Stadt Halle (Saale) sowie Schauspielpatienten die Einsatzsimulationen. So konnte in definierten Übungs- und Lernszenarien die Anwendung der erworbenen Wissensinhalte trainiert und evaluiert werden. Bereits nach wenigen Übungsstationen konnten die erfahrenen Notfallmediziner die an sie gestellten Anforderungen bei der telemedizinischen Begleitung von Rettungsdiensteinsätzen erfüllen.

Nachdem alle Teilnehmer erfolgreich das Prüfungs-Kolloquium absolviert haben, stehen nun 20 Telenotärztinnen und Telenotärzte bereit, eine innovative Versorgungsform in der präklinischen Rettungsmedizin in Sachsen-Anhalt versuchsweise zu etablieren. Damit ist zunächst der Fortbildungsbedarf für die Erprobungsphase gedeckt. Sollten die Ergebnisse des wissenschaftlichen Begleitprogramms zeigen, dass eine landesweite Einführung des Telenotarztes in Sachsen-Anhalt möglich und sinnvoll ist sowie eine Verankerung des Telenotarztes im sachsen-anhaltinischen Rettungsdienstgesetz erfolgt, kann die Ärztekammer basierend auf den Erfahrungen des Pilot-Kurses, die Fortbildung weiterer Telenotärzte gemeinsam mit ihren Partnern sicherstellen.

Autor: Dr. med. Hartmut Stefani
Chefarzt der Klinik für Notfall- und Akutmedizin
Carl-von-Basedow-Klinikum Saalekreis gGmbH Merseburg

Fotos: DELH