Der frühe Tod ihres Vaters, der an Tetanus starb, weckte in Gitta Kudela den Wunsch, Ärztin zu werden. Engagierte Lehrer und auch die Mutter erkannten das Talent und Potenzial des Mädchens, förderten und unterstützen es. Und so studierte die dann junge Frau tatsächlich Medizin und praktiziert später als Ärztin aus und mit Leidenschaft. Zunächst in der Magdeburger Poliklinik, nach der Wende mit eigener Niederlassung.
2015 verabschiedet sich Dr. Gitta Kudela in den Ruhestand. Bis heute hat ihr Name in der Ärzteschaft Gewicht. Warum? Sie engagierte sich stets in der Berufspolitik, schon vor der Wende. So gehört die heute 79-Jährige zu den Gründungsmitgliedern der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, die in diesem Jahr 35 Jahre alt wird. Sie engagierte sich im Hausärzteverband sowie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA).
Ihr Herzensprojekt war stets die Weiterbildung: „Wir brauchen fähigen Nachwuchs!“ Im ersten Teil erzählte die „Mutter der Allgemeinmedizin“, wie manche sie noch immer liebevoll nennen, von ihren Erfahrungen in der DDR. Nun soll es um die turbulenten und spannenden Monate vom Fall der Mauer bis zur Gründung der Ärztekammer gehen und darüber hinaus.
Dr. Gitta Kudela: Aufregend war das. Und anfangs fühlte es sich auch ein bisschen perspektivlos an. Keiner wusste so recht, wo die Reise hingeht. Wir mussten uns informieren, sondieren. Eine große Unterstützung waren da die Niedersachsen, die uns schnell und unkompliziert ihre Hilfe anboten.
Mitte des Jahres 1990 kristallisierte sich heraus, dass die Poliklinik aufgelöst würde. Die Stadt wollte sie nicht weiterführen. Für die älteren Kollegen, deren Ruhestand nicht mehr weit war, wurde noch etwa vier bis fünf Jahre eine Art Rest-Poliklinik aufrechterhalten. Ich war damals 45 Jahre und so wagte ich den Sprung. Ich kündigte Ende des Jahres 1990, blieb dann aber in meinen Räumen und zahlte fortan an die Stadt Miete. Eigentlich habe ich einfach weitergemacht.
Währenddessen haben die westdeutschen Kollegen uns weiterhin enorm unterstützt und viele Veranstaltungen organisiert zum Beispiel zur Sozialgesetzgebung, zum Rechtssystem insgesamt, zur Steuer und zur Abrechnung!!! Das hatten wir bis dato ja alles nicht. Ich weiß noch genau, dass ich die ersten Monate viel unterwegs war, nur um das neue Gesundheitssystem zu lernen.
Sie haben kaum etwas davon mitbekommen. Dabei haben wir das gesamte ambulante Gesundheitswesen innerhalb eines Jahres komplett umgekrempelt, ohne dass der Patient auch nur einen Tag nicht versorgt war.
Ehrlich gesagt: Nein. Aber wir wussten, dass es früher immer eine Ärztekammer gegeben hatte. Und auch wenn Deutschland geteilt war, hatten wir doch auch immer über Grenzen hinweg eine Ahnung davon, wie was läuft. Manches schien uns völlig unverständlich, manchmal haben wir neidisch geguckt.
Unser erster Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt wurde dann wie gesagt Prof. Walter Brandstädter. Nahezu zeitgleich wurde die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt gegründet. Da war mit Dr. Klaus Penndorf jemand an der Spitze, der am meisten Expertise mitbrachte, weil er schon vor der Wende als niedergelassener Chirurg tätig war. Aber zuvor, im Mai 1990 gab es erst mal den ers-ten gemeinsamen Ärztetag von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in Bad Harzburg. Das war unglaublich!

Niemand hatte mit so einem Ansturm der Ärzteschaft aus Sachsen-Anhalt gerechnet! Die Straßen waren noch provisorisch – es gab ja gar keine Verbindung, die Grenze ging direkt durch den Harz, manche Straße endete im Nirgendwo. Wir hatten noch keine Währungsunion – und doch machten sich viele aus dem Osten auf nach Bad Harzburg ins dortige Kurhaus. Es war knackevoll. Ich war so begierig, so neugierig. Es gab Fachbeiträge zum Beispiel zu einer neuen Therapie bei Magengeschwüren. Ich weiß noch, wie ich mich damals gefragt habe, was denn die Chirurgen noch operieren sollten, wenn es keine Magengeschwüre mehr gibt (lacht).
Ich war bei der Gründungsveranstaltung in der Kinderklinik dabei. Dann war ich unter anderem für die Facharztprüfungen mit zuständig – das Leben ging ja weiter. Die ersten wurden in der Blutbank durchgeführt, da hatte Prof. Brandstädter einige Räume organisiert. Und wir waren einfach selig!
Wir hatten dann nämlich zwar eine Kammer, aber noch kein – ich sage mal – Zuhause. Wir zogen erst in ein kleines Einfamilienhaus im Bereich Hopfengarten, dann in die Magdeburger Zollstraße in eine alte Villa. Weil es aber räumlich stark eingeschränkt war und die KVSA, mit der wir eng verbunden waren, unter noch schlimmeren Bedingungen arbeitete, reifte der Entschluss, eine gemeinsame Heimstatt für ÄKSA, KVSA und dann auch Apothekerkammer zu errichten.
Es gab natürlich Diskussionen, warum ausgerechnet da draußen am Doctor-Eisenbart-Ring. Wir haben dann gesagt: Die Ärztekammer ist für alle da, nicht nur für die Magdeburger, die Anbindung an die Autobahn ist gut, es gibt genügend Parkplätze – und so wurde das Gebäude errichtet. Dann kehrten irgendwann eine gewisse Ordnung, Organisation und später auch Heimatgefühle ein. Aber gearbeitet haben wir vorher schon.
Dass man selbstbestimmt arbeitet, ist ein riesiger Vorteil. Leistung lohnt sich. Dass man in der Selbstständigkeit im Härtefall sozial schlecht abgesichert ist, sehe ich als Nachteil. Und man ist abhängig von der Politik. Die Zusammenarbeit von ambulant und stationär muss besser werden, sie ist das A und O.
Ich hatte eingangs gesagt, dass ich mich zu DDR-Zeiten als Ärztin in der Ausübung meines Berufes freier fühlte als jetzt. Wir unterliegen so vielen Zwängen von den Krankenkassen, dass man sich
oft nicht richtig frei fühlen kann. Ein drohendes Beil war immer – nicht nur für mich – der Regress. Ich hatte mal eine Androhung, weil ich zu viel Physio-therapie verordnet habe. Es gibt Richtgrößen pro Kopf. Das ist kompliziert aufgeschlüsselt und nicht immer nachvollziehbar. Und wenn man nicht aufpasst, wird man als Arzt von den Kassen buchstäblich zur Kasse gebeten.
Es gibt hier ein gesichertes, föderales System, in dem jede Ärztin und jeder Arzt bundesweit unterkommt. Habe ich Fragen, brauche ich Hilfe und Unterstützung, einen Rat, habe ich eine Beschwerde – kann ich mich immer an die jeweilige Landesärztekammer wenden. Und zwar in jeder Hinsicht. Also ein klares „Ja“, wir haben viel erreicht.
Interview: K. Basaran
