Am 10. April 2025, fünf Tage nach Vollendung seines 79. Lebensjahres, verstarb Johannes Schubert nach schwerer Krankheit, die seine gewohnt aktive Lebensweise zum Lebensabend eingeschränkt hatte. Mehrere Generationen von Mitarbeitern und Kollegen hatten bereits in der Vergangenheit seine vielseitigen fachlichen Leistungen in verschiedenen Fachzeitschriften und öffentlichen Medien zum Ausdruck gebracht. Die nicht hoch genug zu würdigende Leistung, insbesondere auch für die letzte Generation seiner Schüler und Habilitanden bestand darin, dass es seinem Verhandlungsgeschick als damaligem Zentrumsdirektor mit Unterstützung der Zahnärztekammer und Kassenzahnärztlichen Vereinigung gelungen war, die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde als Hochschuleinrichtung in Halle während der „Wendezeit“ vor der Abwicklung zu retten. Schwierig gestaltete sich die nachfolgende Berufungspolitik. Inzwischen nimmt diese Ausbildungsstätte für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Universität Halle vordere Rankingplätze in Deutschland ein.
Geboren am 5. April 1946 in Lichtentanne legte Herr Schubert 1964 in Zwickau sein Abitur ab. Um der Wehrpflicht zu entgehen, nahm er im selben Jahr das Angebot eines Studienplatzes in Wolgograd an. Wir alten Mitstreiter und Oberärzte, teils noch Reichenbach-Schüler, empfingen 1969 den ersten von mehreren Diplom-Absolventen aus der Sowjetunion mit erheblichen Vorurteilen. Sehr bald allerdings überzeugte uns Herr Schubert von seiner umfassenden Kenntnis der internationalen Fachliteratur, von seiner perfekten Beherrschung der englischen neben der russischen Sprache, von seiner zielstrebigen, mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkweise und seinem operativen Geschick, gepaart mit seinem pädagogischen Einfühlungsvermögen bei der Studentenbetreuung in den chirurgischen Kursen. Bereits zu Beginn seiner Tätigkeit in der Chirurgischen Ambulanz (heute Oralchirurgie), beendete er seine in Wolgograd begonnene Dissertation und wurde in Leipzig zum Dr. med. dent. promoviert. Zeitgleich entwickelte er eigenverantwortlich das DDR-Standardpräparat „Grisaldon“ zur Behandlung der Alveolitis post extractionem. Sehr viel Freizeit verbrachte er bei seinen Mäusen in der Besenkammer des Zwischengeschosses, um die in Wolgograd angeregten Untersuchungen über den Einfluss von Medikamenten auf die Entwicklung von LKG-Spalten zu erforschen. Aus seinen zur Habilitation führenden Experimenten ging ein in der DDR übliches Prophylaxe-Programm für erblich belastete Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten hervor. Die fachlich begründeten Leistungen veranlassten seine Lehrer, ihn mit der Ehrendoktorwürde auszuzeichnen. Uns brachten seine Beziehungen über viele Jahre zum Sommerpraktikum einen beliebten Studentenaustausch.
Wie seine Assistentenzeit begann, so zielstrebig verlief sein beruflicher Werdegang über ein Zusatzstudium der Humanmedizin mit ärztlicher Approbation, mit der Anerkennung als Fachzahnarzt für Allgemeine Stomatologie 1974 und als Facharzt für Kieferchirurgie 1978, begleitet von Promotion A zum Dr. med. im Jahre 1980 und Promotion B zum Dr. s. c. med. ein Jahr danach. Nach der deutschen Vereinigung erfolgten die Umbenennungen in Dr. med. habil. und Facharzt für MKG-Chirurgie. Der Dozentur folgte im Jahre 1986 die Leitung der klinisch-operativen Abteilung für MKG-Chirurgie. Dort führte er, selbst Vorbild gebend, alle modernen plastischen und rekonstruierenden Verfahren in der Traumatologie, Tumor- und Fehlbildungschirurgie ein. Dazu trugen sicher teilweise seine Studienaufenthalte in Hamburg, Linz, Oxford, Prag und Zürich bei. Sein ausgeprägtes, operatives Geschick konnte er auf Wunsch von Professor H. F. Sailer (ehemals Zürich) zugleich beim Aufbau des inzwischen recht bedeutenden Spaltzentrums im indischen Hyderabad einsetzen. In Halle ab 1992 als C4-Professor zum Ordinarius für MKG-Chirurgie berufen, erweiterte er sein Forschungsspektrum neben klinischen Fragestellungen auf Teratologie und tumorbiologische Grundlagenforschung. Neben kooperierenden Instituten und Kliniken halfen zahlreiche Diplomanden, Doktoranden und drei Habilitanden. Leider ist gegenwärtig nur eine unvollständige Publikationsliste ab dem Jahre 2003 zugänglich unter: https://forschung-sachsen-anhalt.de. Seine vielseitigen, hochrangigen Leistungen wurden 1998 durch Zuwahl als Mitglied der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands honoriert.
Mit dem Ableben von Herrn Schubert verlieren wir nicht nur einen fachlich ehrenwerten, sondern ich persönlich auch einen vertrauenswürdigen Mitmenschen. Unser absolutes Vertrauensverhältnis wuchs bei Zwiegesprächen während gemeinsamer Autofahrten zu Tagungen, beispielsweise nach Cottbus, Reinhardtsbrunn und Rostock. Dabei tauschten wir uns auch über die perfiden, von uns abgelehnten Werbeversuche, Mitglied der SED zu werden, aus. Danach unterstützte er mich als damaligen Vorsitzenden der halleschen stomatologischen Gesellschaft in der Entscheidung, bereits im Dezember 1989 alle Vorsitzenden der stomatologischen Regional- und Fachgesellschaften der DDR nach Halle einzuladen, um den Vorstand der diktierenden Dachgesellschaft zum Rücktritt aufzufordern. Zum Auflösungskongress der ostdeutschen kieferchirurgischen Gesellschaft unter Beteiligung der westdeutschen und unserer Regionalgesellschaft im Oktober 1990 in Halle übernahm der damalige noch Doz. Dr. sc. med. Dr. J. Schubert (ehemaliger Sekretär) das Protokoll sowie die Organisation für die Kieferchirurgen.
Mit der Berufung zum Ordinarius für MKG-Chirurgie 1992 und der gleichzeitigen Leitung des gesamten Zentrums für ZMK an der MLU in Halle standen während des gesellschaftlichen Umbruchs in Deutschland kaum zu bewältigende Aufgaben zur Erledigung an. Sein Wahlspruch lautete in schwierigen Situationen: „Was andere geschafft haben, kann auch ich leisten“. Durch seinen geradlinigen, verlässlichen, wertschätzenden und gerechten Umgang mit allen seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarb er sich die erforderliche Loyalität. Im dankbaren Gedenken, mit einem Vorbild gebenden Menschen zusammen gearbeitet zu haben, nehmen wir Abschied.
Prof. Dr. Dr. Sigurd Schulz (Halle, den 30. April 2025)